taz.de -- Koalitionsgespräche in Berlin: Streit bei Migration und Gesundheit

Kurz nach Beginn der Koalitionsgespräche hakt es. Hauptstreitpunkt ist die Flüchtlingspolitik. Bei anderen Themen gibt es hingegen Fortschritte.
Bild: Seehofer, Merkel, Schulz: Wird das was?

Berlin dpa | Ohne sichtbare Annäherungen bei den Streitthemen Migration und Gesundheit sind CDU, CSU und SPD in ihre Koalitionsverhandlungen gestartet. Dagegen gab es Fortschritte beim Thema Landwirtschaft. SPD-Chef Martin Schulz hielt sich trotz parteiinternen Drucks die Option offen, als Minister in ein viertes Kabinett Merkel zu gehen.

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) sprach am frühen Montagmorgen nach dem Treffen der 15 Spitzenvertreter von CDU, CSU und SPD von einem „sehr intensiven Gespräch“. Alle Seiten betonten trotz anhaltender Differenzen in Kernthemen ihre Bereitschaft zu Kompromissen. Es werde „intensiv gearbeitet und auch hart um Lösungen gerungen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU), in einem mit allen Seiten abgestimmten Statement. Man habe sehr intensiv über Arbeitsmarktpolitik, Migrationspolitik, Gesundheitspolitik diskutiert.

Aus Parteikreisen hieß es, vor allem beim Thema Familiennachzug für Flüchtlinge mit geringem Schutzstatus sei man nicht weitergekommen. Die Arbeitsgruppe Migration sei beauftragt worden, im Laufe des Montags Lösungsmodelle zu erarbeiten. Die SPD will bei den Verhandlungen eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus erreichen.

In der Arbeitsgruppe Migration hatte es nach Angaben aus Teilnehmerkreisen zu Beginn einen Schlagabtausch zwischen den Unterhändlern von SPD und CSU, Ralf Stegner und Andreas Scheuer, gegeben. Der CDU-Verhandlungsführer, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, sei um Schlichtung bemüht gewesen.

Bundestag entscheidet über Familiennachzug

In SPD-Verhandlungskreisen wurde diese Darstellung zurückgewiesen. Die SPD führe die Verhandlungen auf der Grundlage der Sondierungsergebnisse. „Aber Koalitionsverhandlungen sind Koalitionsverhandlungen und keine Sondierungen mehr. Den Jamaika-Stil mit Plaudereien aus Verhandlungen werden wir uns nicht gefallen lassen“, hieß es. An diesem Donnerstag will der Bundestag über eine Verlängerung der inzwischen zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit geringem Schutzstatus entscheiden.

Der CSU-Unterhändler Joachim Herrmann forderte Schulz auf, sich mehr an den Interessen des Landes als seiner Partei zu orientieren. „Es kann nicht sein, dass jetzt plötzlich die Union einseitig weitere Zugeständnisse machen soll“, sagte Bayerns Innenminister der Passauer Neuen Presse (Montag). Zugleich beharrte er bei der Flüchtlingsaufnahme auf der Zielmarke von nicht mehr als 220.000 Menschen.

Herrmann forderte die SPD dennoch auf, „einen Vorschlag zu machen, wie sie sich die konkrete Ausgestaltung beim Thema Familiennachzug vorstellt“. Dies könnte als Signal an die SPD verstanden werden, dass bei den Härtefallregelungen doch noch Spielraum ist. In den Sondierungsgesprächen hatten Union und SPD vereinbart, den Familiennachzug eng zu begrenzen: auf 1.000 Menschen pro Monat. Die SPD will eine weitergehende Härtefallregelung erreichen. CDU und CSU lehnen dies ab.

Union warnt SPD

Der Haushälter der Union, Eckhardt Rehberg (CDU), warnte die SPD davor, die in den Sondierungen vereinbarte 40-Prozent-Beitragsgrenze bei den Lohnnebenkosten für Arbeitnehmer infrage zu stellen. Dies sei „Sozialpolitik mit Blick auf die Niedrigverdiener“, sagte er der Rheinischen Post (Montag). „Denn Niedrigverdiener haben mehr von stabilen Sozialbeiträgen als von Steuersenkungen.“

Die SPD-Forderung nach Anhebung der Arzthonorare für gesetzlich Krankenversicherte bedeute, dass die Krankenkassenbeiträge perspektivisch steigen müssten, sagte Rehberg weiter. Auch die SPD-Forderungen in der Rentenpolitik lösten einen Beitragsdruck nach oben aus.

An diesem Montag berät erstmals die Arbeitsgruppe Gesundheit. Sowohl CDU als auch SPD haben mit Gesundheitsminister Hermann Gröhe und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer wichtige Vertreter entsandt. Dreyer zeigte sich vor einer Spitzenrunde zuversichtlich, dass die Arbeitsgruppe zu guten Ergebnisse kommen werde. Man habe bereits über das Wochenende viele Vorabsprachen getroffen.

Bürgerversicherung durch die Hintertür

SPD-Forderungen nach einer vollständigen Angleichung der Arzthonorare für gesetzlich und privat Versicherte wies Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in der Bild am Sonntag zurück. Dies sei nichts anderes als die Bürgerversicherung durch die Hintertür. Ähnlich hatte sich auch Gröhe geäußert. CDU-Vize Julia Klöckner twitterte am frühen Montagmorgen, die erste Verhandlungsrunde zum Thema Landwirtschaft „war intensiv, konstruktiv und sehr zielgerichtet“.

Schulz sagte in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, die Mitglieder entschieden, ob die SPD in eine Koalition eintreten dürfe. „Und dann weiß man, wer in die Regierung gehen kann.“ Vor allem von der Parteilinken war er wiederholt aufgefordert worden, auf einen Ministerposten zu verzichten.

29 Jan 2018

TAGS

Migration
Flüchtlingspolitik
SPD
Schwarz-rote Koalition
Schwerpunkt Flucht
CDU
CSU
CDU/CSU
Koalitionsverhandlungen
CDU
Familiennachzug
Subsidiärer Schutz
Subsidiärer Schutz
Schwarz-rote Koalition
NoGroko

ARTIKEL ZUM THEMA

Merkels Vorschlag für Generalsekretärin: Kramp-Karrenbauer soll's machen

Ein Zeichen in der Nachfolgedebatte um die Kanzlerin: Merkel will Annegret Kramp-Karrenbauer als neue Generalsekretärin vorschlagen.

Familiennachzug von Flüchtlingen: Weniger hart beim Härtefall

Die SPD verkauft die Härtefallregelung beim Familiennachzug als Erfolg. Aktuell hilft sie allerdings nur wenigen.

Koalitionsverhandlungen zum Streitthema: Einigung beim Familiennachzug

Flucht vor Gewalt kann Familien zerreißen. Zur Frage, ob Flüchtende Angehörige nachholen dürfen, haben Union und SPD jetzt eine Antwort gefunden.

Einigung bei Familiennachzug in Sicht: Deutschland wird zum Ehebrecher

Union und SPD sind sich fast einig über Familiennachzug für Flüchtlinge. Experten warnen vor einer Beschränkung auf 12.000 Personen pro Jahr.

Beginn der Koalitionsverhandlungen: Groko in zehn Tagen

Union und SPD haben die Koalitionsverhandlungen begonnen. Der vereinbarte Zeitplan ist ambitioniert.

SPD vor GroKo-Verhandlungen: Und nun kommt die Basis

Die SPD-Spitze hat den Parteitag knapp überstanden. Groko-Gegner planen Kampagnen für das Votum der Mitglieder. Wackelt das Ja noch mal?