taz.de -- Kommentar Geschichtszensur in Polen: Ein Gesetz als Sackgasse
Polens Regierung will kritische Geschichtsaufarbeitung per Gesetz verhindern. Erfolg verspricht das nur auf kurze Sicht.
Dass ein SS-Vernichtungslager im von den Nazis besetzten Polen nicht als „polnisches Lager“ bezeichnet werden sollte, scheint klar zu sein. Dennoch kommt es immer wieder vor. Der Grund ist auf der ganzen Welt der gleiche: Stress, Sprachvergessenheit und Schlamperei. Gemeint ist fast immer Polen als geografischer Ort.
Seit 2008 interveniert Polens Außenministerium systematisch bei Zeitungen und Zeitschriften, fordert Entschuldigungen und Richtigstellungen ein. Doch obwohl es in zehn Jahren gerade mal zu 1.400 Interventionen kam – bei Hunderttausenden Artikeln weltweit zum Holocaust, zum Zweiten Weltkrieg und zu Gettos im nazi-besetzten Europa –, haben die meisten Polen einen ganz anderen Eindruck.
Angeblich hätten sich Journalisten miteinander verschworen, um den Polen die Schuld am Holocaust in die Schuhe zu schieben. Doch kein einziges Mal konnte nachgewiesen werden, dass jemand Rudolf Höß, den Kommandanten von Auschwitz-Birkenau, als Polen bezeichnet hätte. Oder Hitler, Göring, Himmler und andere, die, wie jeder weiß, Deutsche und Österreicher waren.
Durch [1][das neue Geschichtszensur-Gesetz] will Polen Journalisten und Zeitzeugen aus aller Welt vor den polnischen Kadi zerren können. Dabei geht es um etwas anderes. Polen will verhindern, dass ein wissenschaftliches Thema öffentlich diskutiert wird: die polnische Kollaboration mit den Nazis.
Wissenschaftler und Künstler sind als potenzielle Täter vom Gesetz ausgenommen. Große Debatten gab es in der Vergangenheit in Polen nur, wenn ein Wissenschaftler einen brillanten Essay hinlegte. So wie der Soziologe Jan Tomasz Gross mit seinem Essayband „Nachbarn“. Zwei Jahre lang debattierte ganz Polen über das Pogrom in Jedwabne.
Mit der „Lex Gross“ will Polens nationalpopulistische PiS-Regierung nun jede kritische Geschichtsaufarbeitung verhindern. Kurzfristig kann ihr das gelingen. Langfristig ist es eine Sackgasse. Für Israel ist dieser Rückschlag besonders bitter, hatte es doch gerade erst begonnen, mit Polen enger zusammenzuarbeiten.
29 Jan 2018
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