taz.de -- Reportage-Comic über Syrien: Ein Punk in Kobane

Der Italiener Zerocalcare erzählt in der Graphic Novel „Kobane Calling“ von seinen klandestinen Reisen ins türkisch-irakisch-syrische Grenzgebiet.
Bild: Etwas verloren in Syrien

Wie orientiert man sich im Krieg, und dazu mitten in der Nacht? Ein Unterstützer der kurdischen YPG-Armee weiß Bescheid: „Wenn du Ratatata hörst, ist es der IS. Hörst du Tum Tum Tum, sind wir es.“ Aber was ist, fragt der junge Besucher aus Europa, wenn man ein „Boom“ hört? Ganz einfach: Ist die Explosion mit MG-Feuer verbunden, sind das die Amerikaner. Ertönt „Boom und sonst nix“, dann ist es wieder der IS – möglicherweise mit einer Selbstmordattacke.

Reportage-Comics über die Flüchtlingskrise gibt es mittlerweile einige; zum Krieg in Syrien lag auf Deutsch bislang nur die Anfang dieses Jahres erschienene Graphic Novel [1][„Freedom Hospital“] von Hamid Sulaiman vor. In „Kobane Calling“ berichtet nun der italienische Zeichner Zerocalcare von klandestinen Reisen, die er, begleitet von ein paar Freunden, im November 2014 und Juli 2015 im türkisch-irakisch-syrischen Grenzgebiet unternommen hat. Ziel der zweiten Reise war die Republik von Rojava, die von Kurden und einigen anderen Volksgruppen im Norden Syriens als eigener, international bislang nicht anerkannter Staat proklamiert worden ist.

„Kobane Calling“ – das ist nicht von ungefähr eine Variation von „London Calling“, dem gleichnamigen Song und Album von The Clash. Der 1983 geborene Zerocalcare – bürgerlich: Michele Rech – kommt aus der römischen Autonomen- und Punkszene, und in dem Ruf, dem er nach Kobane folgt, leben alte, verschüttete Hoffnungen der radikalen Linken wieder auf. So wie dies im letzten Jahrhundert nacheinander für die UdSSR, Kuba, Vietnam und Nicaragua galt, so erscheint dem enthusiastischen Reisenden jetzt das selbstverwaltete, von den umgebenen Mächten unabhängige Rojava als „Hoffnungsschimmer für die gesamte Menschheit“.

Ein gewisses Pathos fehlt in „Kobane Calling“ also nicht, wird durch zahlreiche Brechungen jedoch relativiert. Dies betrifft zunächst die Erzählweise: Zerocalcare fällt sich ins Wort, korrigiert sich, schweift in witzige Mini-Exkurse ab; Reflexionen teilt er gerne mit in Form von Dialogen mit zwei imaginären Freunden, einem Gürteltier und einem Mammut. Außerdem ist er ein eingefleischter Nerd, der Menschen und Situationen schnell im Licht seines ausschweifenden Comic-, Anime- und Computerspielekonsums wahrnimmt: So erinnern ihn die Killer des IS zwangsläufig an die brutalen Bösewichte aus dem Manga „Fist of the North Star“.

Die Reisen des Zeichners sind Wechsel in eine andere Welt, die sich letztlich als Teil der einen Welt, in der wir alle leben, herausstellt. Von einem türkischen Dorf blickt er auf syrische Stellungen des IS, die nur ein paar hundert Meter entfernt liegen; mitten im trubeligen römischen Ausgehviertel Testaccio betritt er ein kurdisches Kulturzentrum, wo man seinen Weg nach Kobane organisiert; im Irak fährt er in nur 30 Kilometer Entfernung an Mossul vorbei, der Hauptstadt des IS.

Zerocalcare erinnert daran, wie nahe das, was im Nahen Osten passiert, uns allen ist, in geografischer wie in menschlicher Hinsicht – darin liegt ein großes Verdienst dieses Comics.

14 Jan 2018

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Christoph Haas

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