taz.de -- Erklärung zur Berlinale: Filmemacher fordern „Neuanfang“
Die Berlinale zählt zu den führenden Filmfestivals weltweit. Damit das so bleibt, muss sich nach Ansicht namhafter Regisseur*innen einiges ändern.
Verdruss über Berlinale-Chef Dieter Kosslick ist nichts Neues. Nach 17 Jahren Intendanz gehört solcher Kritiker-Unmut im Grunde zur Folklore. Kosslick sei ein Intendant des Roten Teppichs, heißt es meist. Das künstlerische Profil des wichtigsten deutschen Filmfestivals habe unter Bussi-Bussi und kuratorischer Wurschtigkeit Schaden genommen, wurde schon seit einigen Jahren vielfach bemängelt.
Als Konsequenz daraus gründete der Verband der deutschen Filmkritik 2015 die “Woche der Kritik“, die vor allem auch als diskursive Gegenöffentlichkeit zum Festival gemeint war und parallel läuft. Dass sich jetzt 79 deutsche Filmschaffende mit einem Positionspapier an die Öffentlichkeit und an Kulturstaatsministerin Monika Grütters wenden, hat nun aber nochmal einen ganz eigenen Punch.
Bislang herrschte hier eher Betriebsfrieden. Vor dem Hintergrund des absehbaren Endes der Ära Kosslick im Jahr 2019 fordern die Unterzeichner in einer Erklärung, [1][die auf Spiegel Online veröffentlicht wurde], eine transparente, paritätisch besetzte Findungskommission für Kosslicks Nachfolge. Sie wünschen sich „eine herausragende kuratorische Persönlichkeit“, die die strauchelnde Berlinale wieder neben Cannes und Venedig platziert.
Offensichtlich geht es darum, eine Berlinale-Intendantin Kirsten Niehuus zu verhindern. Die bisherige Geschäftsführerin der Filmförderung des Medienboards Berlin-Brandenburg gilt seit längerem als aussichtsreiche Kandidatin. Auch Kosslick kam einst aus der Filmförderung zur Berlinale: Gemutmaßt wird nun, dass Kosslicks Prinzip der Filmverwaltung sich bruchlos fortsetze. Die Filmschaffenden fordern daher einen klaren „Neuanfang“. Dieser Schlag sitzt!
Und damit wächst der Druck auf Monika Grütters, die als Kulturstaatsministerin über die Besetzung entscheidet: Murrende Filmkritiker lassen sich schmerzfrei ignorieren, doch wenn gefühlt drei Viertel des kreativen Betriebs geschlossen aufstehen, hat das eine unübersehbare Signalwirkung.
Der richtige Zeitpunkt
Zumal an der Aufrichtigkeit der Absicht kein Zweifel herrschen kann: Ausgewiesene Berlinale-Lieblinge wie Christian Petzold und Thomas Arslan finden sich unter den Unterzeichnern ebenso wie junge Wilde wie Axel Ranisch und die Lass-Brüder, Außenseiter wie Max Linz und Jan Soldat, Filmkunst-Autorinnen wie Maren Ade, Maria Schrader und Nicolette Krebitz sowie gestandene Veteranen wie Georg Stefan Troller und Margarethe von Trotta. Ein so beeindruckend breites Bündnis gab es selten im deutschen Film.
Besonders bitter ist dabei: 2001 war Kosslick die Nachfolge Moritz de Hadelns mit dem Versprechen angetreten, sich insbesondere als Anwalt des deutschen Kinos in dessen Dienst zu stellen. Einige der Unterzeichner feierten unter Kosslick erste Erfolge am Potsdamer Platz. Am Ende der Ära Kosslick ist diese Liebesgeschichte offensichtlich in die Brüche gegangen.
Das Papier kommt zu einem strategisch abgepassten Moment: Am 4. Dezember diskutiert Grütters unter anderem mit Volker Schlöndorff und Christoph Hochhäusler, beide ebenfalls Unterzeichner, im Berliner Haus der Kulturen der Welt über den Stand der Dinge in der Festival-Welt. Um eine Position zur Kosslick-Nachfolge kommt Grütters an diesem Abend nun nicht mehr herum. Gibt es Alternativen?
Im Freitag hat der Filmkritiker Matthias Dell unlängst den ehemaligen Viennale-Chef und Leiter des Österreichischen Filmmuseums, Alexander Horwath, ins Gespräch gebracht. Eine reizvolle Idee: Einen leidenschaftlicher fürs Kino brennenden Cinephilen mit Festivalerfahrung wird man kaum finden. Er wäre das glatte Gegenteil des Funktionärsystems Marke Kosslick – und damit tatsächlich ein Neuanfang.
24 Nov 2017
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