taz.de -- Kunstaktion zum Holocaustmahnmal: Höcke soll gedenken lernen

Das Zentrum für Politische Schönheit hat eine „Außenstelle“ des Mahnmals errichtet. Sie befindet sich auf dem Nachbargrundstück des AfDlers.
Bild: Wohnen mit Blick auf Stelen: Jetzt bei Björn Höcke in Thüringen

Er könne gerade nicht reden, simst Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) am Mittwochmorgen. „Wir müssen noch Herrn Höcke winken.“ Einen Fototermin etwa vier Stunden von Berlin ins Landesinnere werde es geben, erklärte das Zentrum für politische Schönheit am Dienstag. Mittwoch früh war klar, wohin die Reise gehen sollte: Ins thüringische Bornhagen, den Ort, an dem an diesem Morgen das neue Denkmal für die ermordeten Juden Europas enthüllt wird. Und zwar auf dem Grundstück direkt neben dem heiß geliebten Pfarrhaus des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke.

Graue Betonstelen erheben sich auf dem Grundstück, das das Künstlerkollektiv ZPS nach eigenen Angaben bereits vor zehn Monaten angemietet hat – nachdem [1][Höcke in Dresden] seine deutschlandweit bekannte Rede im Sound der 1930er Jahre gehalten hatte. In der Rede hatte er das Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert. Nun entstehe eine „Außenstelle“ des Mahnmals Zaun an Zaun mit Höckes Grundstück, erklärt das Zentrum für Politische Schönheit. Die Aktion kann man in dem Livestream [2][„Holocaust-Mahnmal besucht Höcke“] live mitverfolgen.

„Stellen Sie sich vor, in Ihrem Land hetzt wieder ein Rechtsradikaler“, heißt es in einem Video auf der Seite [3][deine-stele.de]. Das Zentrum sammelt Spenden, um 24 Stelen zu finanzieren. „Stellen Sie sich vor, Menschenhass wird wieder parteimäßig organisiert.“ Ein Szenario, das man sich dieser Tage leider nicht lange vorstellen muss, denn Höcke und andere Mitglieder seiner Partei arbeiten emsig an der Umsetzung. „Wir haben das Mahnmal aus der deutschen Hauptstadt um 180 Grad gedreht“, erklärt Philipp Ruch, künstlerischer Leiter des Zentrums für Politische Schönheit. „Wir wollen und können die grotesken Forderungen zur Geschichtspolitik nicht auf sich beruhen lassen. Auch nicht nach fast einem Jahr ohne Distanzierung. Die Erinnerung muss gerade in den braunen Ecken des Landes in Beton gegossen werden.“

Doch mit den Stelen ist es nicht genug. In Ermangelung staatlicher Stellen, die sich der Sache annähmen, würde Höcke seit zehn Monaten vom Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen observiert. Laut ZPS handelt es sich um „die aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland“. Dafür sucht das ZPS Freiwillige. „Werden sie Teil unseres Teams“, heißt es in dem Video zur Aktion. „Beobachten Sie den bekanntesten Brandstifter Deutschlands. Spielen Sie mit seinen Schafen. Setzen Sie Björn Höcke ein Denkmal.“

Zwei Jahre Zeit zum Gedenken

Für mindestens zwei Jahre soll das Mahnmal auch Menschen in Bornhagen – und besonders einem von ihnen – die Verbrechen der Nationalsozialisten tagtäglich ins Gedächtnis rufen. „Mit der aktuellen Aktion verwandelt das Zentrum für Politische Schönheit Höckes ,Denkmal der Schande’ in ein Mahnmal der Verantwortung und gibt ihm die Gelegenheit, den Grundstein für einen zeitgemäßen Umgang mit der deutschen Geschichte zu legen“, erklärt das ZPS. „Schande belastet nur so lange, wie aus ihr kein Verantwortungsbewusstsein entsteht.“

Immerhin aus der Nahtlosüberwachung bieten die Kunstaktivist*innen Höcke einen Ausweg: Würde er sich bereit erklären, vor dem Mahnmal – in Berlin oder Bornhagen – auf die Knie zu fallen wie einst Willy Brandt, um für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs um Vergebung zu bitten, würde die zivilgesellschaftliche Überwachung vorerst eingestellt. Andernfalls würde die Zivilgesellschaft in die gewonnenen Erkenntnisse unter dem Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ mit einbezogen: „Mehrere aufschlussreiche Dossiers stehen zur Veröffentlichung bereit“, erklärt das Zentrum.

Das 2008 gegründete Zentrum für Politische Schönheit hat sich dem „aggressiven Humanismus an der Schnittstelle zwischen Aktionskunst und Menschenrechten“ verschrieben. Anlässlich des 25. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer organisierte das Kollektiv 2014 einen Buskonvoi an die Außengrenzen der EU. Ausgestattet mit Bolzenschneidern wollte man dort den „Ersten Europäischen Mauerfall“ begehen und der auf der Flucht nach Europa ums Leben gekommenen Menschen gedenken. Im Jahr darauf bestatteten sie die exhumierten Körper einiger dieser Toten in Berlin und errichteten auf der Wiese vor dem Reichstag Hunderte symbolische Gräber.

Zur „Feier“ des EU-Türkei-Deals kündigte das ZPS an, Flüchtlinge mitten in Berlin Tigern zum Fraß vorwerfen zu wollen. In diesem Jahr verteilte es mithilfe eines ferngesteuerten Druckers regimekritische Flugblätter über den Istanbuler Gezi-Park. Die Aktion lief unter dem Titel „Scholl 2017“ und fand anlässlich des 75. Jubiläums des Widerstands der Weißen Rose in Nazi-Deutschland statt.

22 Nov 2017

LINKS

[1] /Kritik-an-Holocaust-Gedenken/!5376031
[2] https://www.youtube.com/watch?v=DXe5quUQTyM
[3] https://deine-stele.de/

AUTOREN

Dinah Riese

TAGS

Schwerpunkt AfD
Björn Höcke
Holocaust-Mahnmal
Geschichtsrevisionismus
Aktionskunst
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Denkmalschutz
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt AfD
Björn Höcke
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD

ARTIKEL ZUM THEMA

Für und Wider von Aktionskunst: Ist das überhaupt noch Kunst?

Ob vor Björn Höckes Wohnhaus oder am Standort des Waffenherstellers Heckler und Koch – Aktionskunst ist „in“. Vielen geht sie jedoch zu weit.

Kommentar polnische NS-Opfer: Alle gehören einbezogen

Errichtet werden soll ein Denkmal für alle polnischen NS-Opfer. Dabei geht es gerade nicht darum, nur „ethnischer Polen“ zu gedenken.

Niemand fühlt sich zuständig: Denkmal wurde ein Haufen Schutt

Gedenkplatte erinnerte an Klaus-Jürgen Rattay, einem Berliner Hausbesetzer, der vor 36 Jahren mit nur 18 Jahren von einem Bus überfahren wurde.

Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haustür: Nach Morddrohungen geschlossen

Nach zahlreichen Morddrohungen haben Aktivist*innen das nachgebaute Mahnmal in Bornhagen für Besucher geschlossen. Beim LKA wurde Strafanzeige erstattet.

Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haustür: Tumulte in Bornhagen

Viele Menschen sind sauer, weil es neben Höckes Haus jetzt ein Holocaust-Mahnmal gibt. Die Polizei ermittelt – unter anderem wegen einer Mülltonne.

Pro und Contra Kunstaktion in Bornhagen: Ein Mahnmal neben Höckes Haus

Das Zentrum für Politische Schönheit observiert seit Monaten das Haus des AfD-Politikers. Die Aktion sorgt für geteilte Meinungen.

Debatte Umgang mit erstarkter AfD: Sie haben keine Chance

Den Rechten missfällt eine Gesellschaft, die liberal tickt. Die AfD wird sie aber nur begrenzt trösten können – trotz ihres Einzugs in den Bundestag.

Machtkampf in der AfD: Höcke droht Ausschlussverfahren

Im Bundesvorstand der rechten Partei soll sich eine Mehrheit vom thüringischen Fraktionsvorsitzenden trennen wollen.

Björn Höcke und das Holocaust-Mahnmal: Geschichtsrevisionisten der Mitte

Rudolf Augstein kritisierte das Mahnmal schon 1998 – in Worten, die denen Höckes ähneln. Schon damals fanden viele das Erinnern unbequem.

Björn Höckes Dresden-Rede: Zurück in die Vergangenheit

Der Thüringer AfD-Chef will mit seinen Aussagen die Erinnerungspolitik umkrempeln. Er möchte eine deutsche Siegergeschichte durchsetzen.

Kritik an Holocaust-Gedenken: Empörung über Höcke-Rede

Er ist für gezielte Provokationen bekannt. Bei einer Rede in Dresden spottet der AfD-Politiker über das Gedenken an die Shoah – und testet so erneut Grenzen aus.