taz.de -- Panne im Fall Anis Amri: Waffen-Selfie übersehen
Ermittler beschlagnahmten zwar das Handy von Amri, entdecken aber ein Foto mit der Pistole nicht. Ein weiterer Ermittlungsansatz wurde vertan.
BERLIN taz | Das Bild soll Anis Amri zeigen, der eine Schusswaffe in die Kamera hält – aufgenommen Monate vor dessen Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 mit zwölf Toten. Bekannt wird das Foto erst jetzt. Damit sind die Ermittlungspannen zu dem Islamisten um eine Episode reicher.
Im Februar 2016 hatten Polizisten Amri in Berlin kontrolliert und dabei sein Handy beschlagnahmt. Auf dem Gerät befanden sich mehr als 12.000 Dateien, darunter das nun bekannt gewordene Waffen-Foto. Ob das Handy überhaupt ausgewertet wurde, daran hatte der Berliner Sonderermittler Bruno Jost zuletzt Zweifel geäußert. Sicher jedenfalls ist: Das Foto wurde nicht entdeckt, wie NRW-Innenminister Herbert Reul am Montag einräumte. Der CDU-Politiker indes sprach von einer Auswertung durch das LKA NRW– nur sei das Bild von schlechter Qualität gewesen und so durch die Filtereinstellungen gerutscht.
Reul sprach von einem Fehler, „der nicht hätte passieren dürfen“: „Für mich ist klar, dass Datenauswertung gerade in Terrorverfahren bedeutet: Alle vorhandenen Daten werden ausgewertet.“ Die Standards zur Auswertung großer Datenmengen beim LKA würden nun auf den Prüfstand gestellt.
Das Foto bringt die Polizei erneut in die Bredouille, weil es damit einen weiteren Grund gegeben hätte, gegen Amri zu ermitteln: wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Der [1][RBB] berichtet auch von anderen Fotos, die Amri etwa mit einer Machete zeigten. Zuvor schon hatten die Ermittler, trotz Observation, die Chance vertan zu versuchen, wegen Drogendealerei in Berlin einen Haftbefehl gegen Amri zu erwirken. Stattdessen verloren die Behörden Amri aus dem Blick – bis zu dessen Attentat.
Am Montag eröffnete der Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz in die diesjährige Saison, diesmal gesichert mit Betonpollern. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sprach von einer anhaltend hohen Anschlagsgefahr in Deutschland. Dies gelte auch für Weihnachtsmärkte. Die Sicherheitsvorkehrungen seien aber verstärkt worden.
27 Nov 2017
LINKS
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Auch den Alexanderplatz und den Berliner Dom nahm Amri für Anschläge in Augenschein. Seine Familie in Tunesien will „nicht mehr über das Thema sprechen“.
Ein Jahr nach dem Anschlag fordert der Opferbeauftragte Kurt Beck in seinem Abschlussbericht schnellere Infos und höhere Entschädigungen für Hinterbliebene.
Große Sicherheitsvorkehrungen begleiten den Gedenktag für Anschlagsopfer des 19. Dezember.
Als Opferbeauftragter kümmert sich Kurt Beck um Opfer und Hinterbliebene des Anschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Es gebe noch viel zu lernen, sagt er.
Die Verfassungsschutzämter sollen sich „freiwillig“ auflösen und im Bundesamt aufgehen. taz-Recherchen zeigen: Kein Bundesland ist dazu bereit.
Im Amri-Untersuchungsausschuss vermag sich Ex-CDU- Staatssekretär nicht zu erinnern. Sonderermittler Bruno Jost benennt die Schwachstellen deutlich.
Baden-Württemberg ringt um ein strengeres Polizeigesetz. Dabei zeigt sich, wie nah – oder fern – sich Grüne und CDU realpolitisch sind.
Der „radikalste“ in der Islamistengruppe um Anis Amri soll ein V-Mann gewesen sein. Er habe nach Leuten für einen LKW-Anschlag gesucht.
Lange vor dem Terroranschlag in Berlin kannte die Polizei Anis Amri. Ein neuer Bericht listet noch einmal die Fehler der Polizei in dem Fall auf.
Eine Untersuchung bescheinigt der Berliner Polizei schwere Versäumnisse in den Stunden nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz im Dezember.