taz.de -- Streit in der Linkspartei: Kipping will Lafontaine überholen
Kipping wirft Lafontaine zwar ein Foul vor. Dennoch könne das die Partei voranbringen: Man brauche die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz.
Berlin taz | Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, hat sich in ihrer Partei für eine Debatte über die Flüchtlingspolitik und ein linkes Einwanderungsgesetz ausgesprochen. In ihrer Rede am Sonntag vor dem Parteivorstand zitierte sie den saarländischen Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine, der sich kritisch über die Flüchtlingspolitik und die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger geäußert hatte.
„Oskar meinte, […] dass unsere Haltung offener Grenzen ein Widerspruch zu Fragen sozialer Gerechtigkeit sei“, sagte Kipping laut Redemanuskript, welches der taz vorliegt. „Wenn ich mal abziehe, was an seinem Beitrag schlichtweg nur ein unfaires Foul gegen eine Partei im Wahlkampf war […] dann kann uns auch dieser Beitrag voranbringen“, sagte Kipping. „Was wäre – um also den Punkt, den Oskar in der Sache macht, zu Ende zu denken – ein linkes Einwanderungsgesetz?“
Sie warnte allerdings davor, Deutsche gegen Flüchtlinge auszuspielen, um unentschiedene Wähler für die Linkspartei zu gewinnen: „Weder mit einfachen antirassistischen Slogans noch mit wahltaktischem Konformismus gewinnen wir jene ideologisch Unentschiedene. [sic]“ Sobald als zentrale Konfliktdimension Deutsche versus Andere aufgerufen sei, würden die Linken verlieren.
Ringen um die Wähler im Osten
Die Linkspartei hatte bei der Bundestagswahl rund 430.000 Wähler an die AfD verloren. Gerade im Osten, in der Provinz, waren die Verluste spürbar, während die Partei im Westen, speziell im urbanen, akademisch gebildeten Milieu Wähler hinzu gewinnen konnte. Kipping stellte sich der Vermutung entgegen, sie hätte diese Wähler abgeschrieben. Es sei müßig und vollkommen unproduktiv, wenn die Linke sich in ideologischen Streitereien verlieren würde, welches Milieu uns lieber sei. „Wir können sowieso nicht, die einen gegen die anderen eintauschen. Denn – schauen wir uns nur um auf unseren Parteitagen – wir sind schon längst beides.“
Trotzdem müsse sich die Partei ernsthaft befragen, warum sie in bestimmten Regionen und Schichten verloren habe und wie sie jene, die sich eher als „Modernisierungsverlierer“ fühlten, ansprechen wolle. Kipping regte linke Zukunftsdialoge an, dazu eine Mitgliederbefragung. „Denkbar wäre auch eine Befragung der Neumitglieder zu ihren Motiven und Ansprüchen.“
Kipping will nicht Fraktionschefin werden
Kipping bekräftigte erneut, auf der Fraktionsklausur in dieser Woche nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren zu wollen: „Ich möchte sein, was ich bin: Parteivorsitzende.“ Man solle aufhören sie anzugreifen, „indem Fake-News zu meinen Ambitionen in die Medien lanciert werden“, appellierte sie an ihre Parteifreunde. „Gerade kochen einige Konflikte hoch“, sagte Kipping. „Und natürlich sind einige Wortmeldungen auch im Vorfeld der bevorstehenden Fraktionsklausur ein bisschen taktisch überformt.“
Im Vorfeld der Fraktionsklausur waren Verwerfungen zwischen der Partei- und der Fraktionsspitze medienöffentlich geworden. Die Bild wusste zu berichten, dass Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht von der Parteiführung gemobbt werde. Parteichef Bernd Riexinger soll auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einer Bar gesagt haben: „Sahra ist leider nicht aufzuhalten als Fraktionsvorsitzende. Man kann sie nicht einfach abschießen. Sahra muss gegangen werden und daran arbeiten wir.“ Bernd Riexinger bestreitet die Äußerungen.
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist das Ringen um künftige Mehrheiten in der Fraktion. Mit Bernd Riexinger ist nun auch der zweite Parteivorsitzende neben Kipping als Abgeordneter im Bundestag vertreten. Ein Antrag für die Änderung der Geschäftsordnung sieht vor, dass künftig beide Parteivorsitzende Mitglieder des Fraktionsvorstands mit beschließender Stimme sind. In der vergangen Legislatur war das nicht der Fall.
16 Oct 2017
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Linken-Chefin Katja Kipping erläutert, was hinter dem Streit ihrer Partei über Einwanderung steckt und warum sie keine Angst vor einem Sturz hat.
Die Linkspartei zerlegt sich in absurden und unübersichtlichen Machtkämpfen. Die Energie wäre in der Diskussion über Inhalte besser angelegt.
Die Vorsitzende der Linken über Hintergründe des jüngsten heftigen Flügelkampfes in ihrer Partei. Von Mobbing zu reden sei Quatsch, sagt sie.
Sahra Wagenknecht hat eine ungute Macht über die Partei. Damit sie als Fraktionschefin bleibt, werden überfällige Debatten unterdrückt.
Die Fraktions- und Parteivorsitzenden der Linken sind aufeinander losgegangen. Am Ende wurden Bartsch und Wagenknecht wiedergewählt.
Im Streit um die Machtverhältnisse in der Linkspartei gehen Fraktions- und Parteivorstand in die ultimative Auseinandersetzung.
Im Streit um die künftigen Machtverhältnisse bei den Linken drohen Bartsch und Wagenknecht mit dem Rückzug ihrer Kandidatur.
Der Philosoph Thomas Seibert hat den offenen Brief gegen Sahra Wagenknecht unterzeichnet. Er begründet, warum er sie für rassistisch hält.
Die von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine angestoßene Debatte um den flüchtlingspolitischen Kurs der Linken irritiert auch außerhalb der Partei.
Lafontaines Einlassungen zur Flüchtlingspolitik sorgen in der Linkspartei weiter für Ärger. Geschäftsführer Matthias Höhn soll angeblich zurücktreten.
Oskar Lafontaine greift die Flüchtlingspolitik seiner Parteispitze an. Damit stellt er das Existenzprinzip einer linken Partei in Frage.