taz.de -- Demonstration von Geflüchteten: „Wir lassen uns nicht spalten“

Mehrere tausend Flüchtlinge protestierten in Berlin gegen rassistische Hetze. Der Politik werfen sie vor, das Asylrecht immer mehr zu beschneiden.
Bild: Fast die Hälfte der 7.500 TeilnehmerInnen in Berlin waren Flüchtlinge aus ganz Deutschland

In einer kilometerlangen Parade zogen Tausende Menschen am Samstagnachmittag durch Berlin. Die 10.000, die erwartet wurden, kamen zwar nicht. Trotzdem war es die beeindruckendste Aktion, die die Flüchtlingsbewegung hierzulande seit längerer Zeit auf die Beine gestellt hat. „Welcome United“ war der Name des Zugs, rund 100 beteiligte Gruppen hatten dafür insgesamt 19 Lkws geschmückt. Einer war einer Fähre nachempfunden, die sich die Flüchtlinge im Mittelmeer wünschen. Ein anderer zeigte die Pfeife, die die sudanesischen Flüchtlinge in einem niedersächsischen Lager immer dann zur Warnung blasen, wenn die Polizei zu Abschiebungen anrückt.

Afghanen, Roma und die äthiopische Minderheit der Oromo waren ebenso dabei wie Frauen- und Unterstützergruppen oder Initiativen, die im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot retten. „Wir zeigen der Politik: Wir lassen uns nicht spalten in gute und schlechte Flüchtlinge“, sagte Nevroz Duman aus Hanau, die mit 12 Jahren aus der Türkei nach Griechenland flüchtete und mit einer Duldung in Deutschland aufwuchs. Die Parade sei für die Flüchtlingsbewegung „der Höhepunkt dieses Wahlkampfs, in dem über uns entschieden wird, wir aber nicht gefragt werden“.

Gegen Mittag versammelten sich die TeilnehmerInnen vor dem Bundesinnenministerium in Moabit. RednerInnen warfen den Parteien vor, das Asylrecht immer weiter abbauen zu wollen. „Sie schlagen uns auf ihren Wahlkundgebungen mit ihren Reden offen ins Gesicht“, sagte Duman. Der Bundestagswahlkampf sei in „weiten Teilen ein Überbietungswettbewerb in flüchtlingsfeindlicher und rassistischer Hetze“. Dagegen sollte die Parade ein Zeichen sein. „Wer Kriegsflüchtlingen den Familiennachzug verwehrt und uns im Mittelmeer ertrinken lässt, der muss mit unserem Widerstand rechnen“, sagte Duman.

Am Nachmittag gab das Bündnis an, dass es insgesamt 7.500 TeilnehmerInnen gezählt hatte. Fast die Hälfte davon waren Flüchtlinge aus ganz Deutschland. Sie kamen mit 30 Bussen nach Berlin. Die AktivistInnen zogen zum Oranienplatz in Kreuzberg, den Geflüchtete ab 2012 über 18 Monate besetzt gehalten hatten. Auf der Spree begleitete die Seenotrettungsorganisation SeaWatch die Parade mit einem Schlauchboot aus dem Mittelmeer. Die weiteste Anreise hatten AktivistInnen aus Athen. Sie haben dort vor Jahren das leer stehende City Plaza Hotel besetzt. Seither können Geflüchtete dort vorübergehend umsonst wohnen. In Berlin stellten die City-Plaza-AktivistInnen einen Lkw, der dekoriert war wie ihr Hotelgebäude.

„Wir kämpfen weiter, bis wir alle gleiche soziale Rechte haben“, sagte der aus Pakistan stammende Flüchtling Samee Ullah, der die Demo angemeldet hatte, bei der Abschlusskundgebung am Oranienplatz. „Und alle, die wählen dürfen, sollten die wählen, die uns achten.“

17 Sep 2017

AUTOREN

Christian Jakob

TAGS

Flüchtlinge
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Demonstrationen
Sea-Watch
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Lesestück Interview
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
NPD
Lesestück Recherche und Reportage
Ärzte ohne Grenzen

ARTIKEL ZUM THEMA

Was ist Phase bei der Wahl?: „Noch nie so unbefriedigend“

Worum geht es wirklich bei der Wahl? Wie geht es danach weiter? Und wie ist das diesmal mit dem Nichtwählen? Mehr als drei Fragen an Harald Welzer.

Soziologe Heinz Bude über Wahlkampf: „Ein großer Sack voll Hoffnung“

Der Soziologe über die SPD und eine „Schicksalswahl“. Warum Lindner alles richtig macht – und die Grünen Dortmunds Norden nicht verstehen.

Debatte Integrationspolitik: Der Rückschritt

Wer integrationspolitisch was zu melden haben will, tutet derzeit ins Horn der Abgrenzung: „Wir und die“. Da waren wir schon mal weiter.

Bautzener Vize-Landrat und die NPD: Sprechen über Flüchtlinge

Der Bautzener Vize-Landrat Udo Witschas unterhielt vertrauliche Kontakte mit der NPD-Kreisspitze. Die waren umfangreicher als bisher bekannt.

Flüchtlingshilfe im Mittelmeer: Wer rettet die Retter?

Die libysche Küstenwache drohte Schiffen europäischer NGOs. Einige Aktivisten warten jetzt verunsichert im Hafen von Valletta.

Seenotrettung im Mittelmeer gestoppt: Libyen schüchtert NGOs ein

Die libysche Küstenwache droht auch Seenotrettern, die in internationalen Gewässern arbeiten. Nun haben zwei Organisationen ihre Einsätze vorerst eingestellt.