taz.de -- Kolumne Die Stimme aus dem Ausland: Zu viele Emotionen
Von soliden deutsch-polnischen Beziehungen hin zu Diskussionen über Reparationen und die Zukunft der EU. Der Blick aus Polen.
Bis vor einiger Zeit schien Polinnen und Polen emotional nichts weniger mitzureißen als Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Gründe? Ein stabiles Parteiensystem, marginaler Populismus und die Bereitschaft zu großen Koalitionen. Dazu ruhen die deutsch-polnische Beziehungen auf einem soliden Fundament – zumindest bis zuletzt schien dies der Fall. Ob Angela Merkel oder Martin Schulz am 24. September den Wahlsieg davontragen würden, schien nicht besonders relevant.
Aber die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind unter der PiS-Regierung in Warschau auf einen unbekannten Kurs geraten. Gegenstand der Revision ist neben der inneren auch die internationale Politik. Als Ergebnis werden die Wahlen in Deutschland unter dem Aspekt der Reparationsproblematik betrachtet, die PiS-Politiker und mit ihnen verbundene Medien aufgebracht haben.
PiS agiert in dieser Frage so wie in anderen Angelegenheiten – etwa der kontroversen Justizreform. Zunächst fällt die These, dass ein Problem existiert, dessen Lösung Polinnen und Polen zugute käme. Anstatt anschließend zu verifizieren, ob die These überhaupt stimmt, wird nahtlos dazu übergegangen, sie öffentlich zu erörtern.
Diese Art des Diskurses ist bedauernswert. Denn zum einen ist in dieser Atmosphäre die Fortsetzung der Arbeit an der deutsch-polnischen Aussöhnung kaum möglich. Diese Versöhnung ist ein hohes Gut. Doch wie jedes Werk von Menschenhand ist es zerbrechlich und nicht frei von Mängeln.
Trotz Unterschiede, auch Ähnlichkeiten
Zum Beispiel sollten junge Menschen beiderseits der Oder mehr von- und übereinander wissen. Deutsche Schülerinnen und Schüler sollten nicht nur mehr über den Holocaust erfahren, sondern auch darüber, was ab September 1939 mit der polnischen Zivilbevölkerung geschah. Die Idee der PiS, eine Politik fern des Konsenses zu betreiben, macht einen konstruktiven Dialog jedoch schwer vorstellbar.
Zum anderen verschwinden für Polinnen und Polen wichtige inhaltliche Fragen, die mit der Bundestagswahl zusammenhängen. Jenseits der Reparationsfrage dringen Diskussionen über Migrationspolitik, die Zukunft der EU oder der deutschen Automobilindustrie nicht durch.
Kaum sichtbar wird schließlich, dass sich trotz aller Unterschiede die polnische und die deutsche politische Landschaft in einem Punkt sehr ähnlich sind: An der Macht ist eine erfahrene Generation, die jüngeren Menschen die Übernahme von Regierungsverantwortung verwehrt. Es mangelt an intergenerationellem Personalaustausch an den Spitzen der Macht. Für die Innenpolitik beider Länder könnte dies fatale Konsequenzen haben. Auch bei diesem Thema treten heute leider Emotionen an die Stelle sachlicher Diskussionen. Schade – geht es doch um unsere gemeinsame Zukunft.
Übersetzung: Lukas Becht
8 Sep 2017
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