taz.de -- Kommentar deutscher Trump-Diskurs: Charlottesville ist hier
Die Empörung über Trump dient einem präzisen Zweck: Endlich hat der Dauerskandal Bundesrepublik jemanden gefunden, der noch mehr Dreck fabriziert.
Deutschland ist ein sauberes, ein gutes Land. Es ist ein Land, in dem ein Kartell von Autobauern die eigene wie die rein exportorientierte Bevölkerung vorsätzlich vergiftet. Das Geld, das das Kartell dabei verdient, investiert es nicht etwa, um seine Dreckschleudern etwas weniger dreckig zu machen, sondern um die Schadstoffmessungen zu manipulieren; während der zuständige Minister für diesen Anschlag auf Leib und Leben es „[1][kategorisch]“ ablehnt, diejenige Organisation, die den Skandal wesentlich geholfen hat aufzudecken – die Deutsche Umwelthilfe – auch nur zum Gespräch zu empfangen.
Deutschland ist ein Land, dessen Bundeskanzlerin „rassistische, rechtsextreme Gewalt“ verurteilt, wenn es gilt, Vorgänge in den USA zu kommentieren. Es ist dieselbe Bundeskanzlerin, die 2012 den Angehörigen der Opfer der neonazistischen NSU-Terrorserie vollständige Aufklärung versprochen hat und seitdem schweigend zusieht, wie der Turm der Lügen und Vertuschungen bei den Geheimdiensten und im BKA immer mehr anwächst.
Und Deutschland hat einen Justizminister, der das Herumlavieren zu rechtsextremen Gewaltausbrüchen von US-Präsident Trump „fatal“ findet – der Justizminister selbst war so clever, nicht mal herumzulavieren und eben keine fatalen Versprechungen zur NSU-Aufklärung abzugeben.
Deutschland, kurz gesagt, ist weniger ein Land als ein industriell-geheimdienstlicher Komplex, ein Konglomerat des Gratismutes und der Polittrickser, ein scheinheiliger Haufen, dem Sommerloch und Wahlkampf gerade recht kommen, um davon abzulenken, dass der [2][entgleiste V-Mann], der sich Auschwitz ausdachte, ein Meister aus Deutschland war und kein rechter Populist aus den USA.
Deutsche Lust
Aber es ist zu billig, den Regierenden vorzuwerfen, dass sie regieren: also im Wesentlichen, von ihren eigenen Fehlern ablenken, indem sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf Geschehnisse in einem – bedauerlicherweise, sie würden es ganz anders machen! – weit entfernten Städtchen namens Charlottesville lenken.
Seit Trumps Amtsantritt ist eine Lust in den deutschen Medien zu beobachten, endlich jemanden gefunden zu haben, der so viel weniger sauber, der so unglaublich viel weniger gut ist als alles, was zwischen Flensburg und Oberammergau und insbesondere zwischen Rostock und Dresden sich abspielt.
Rassistische Gemeinheit und rechtsextreme Gewalt vollziehen sich bei dieser Schwerpunktsetzung eben nicht mehr in erster Linie in Zehdenick/Brandenburg, wo ein pakistanischer Asylbewerber am 11. August in der Nacht auf dem Weg zu seiner Flüchtlingsunterkunft von unbekannten maskierten Tätern überfallen wurde; wo die Täter zunächst in einem Pickup-Truck mit hoher Geschwindigkeit auf den Asylbewerber zu fuhren, dann ausstiegen, ohne Vorwarnung auf ihn einschlugen und ihn ausraubten.
In den Hintergrund rücken rassistische Gemeinheit und rechtsextreme Gewalt am selben Tag in Leipzig, wo 20 bis 30 Personen vor eine Flüchtlingsunterkunft zogen und dabei Parolen wie „Ausländer raus“, „Sieg heil“ und „Heil Hitler“ riefen.
Ja nicht mal den Ereignissen in Tannhausen/Baden-Württemberg mag man einen blutigen Witz abgewinnen, wo Unbekannte am 7. August an mehreren Stellen, etwa neben einer Flüchtlingsunterkunft und einer Kirche, rechtsextreme Parolen und Hakenkreuze sprühten – darunter den Spruch „Bleibt Deudschland treu“!
Trump ist der brutalstmögliche Ausdruck all dessen, was in den USA schiefläuft. Muss man wirklich mit dem Offensichtlichen einen regnerischen deutschen August füllen, nur weil das heimische Großpogrom heuer auf sich warten lässt?
17 Aug 2017
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