taz.de -- Die Wahrheit: Sekten und Insekten

Unter den Krabblern und Flatterern geht derzeit die Luftpost ab. Die Natur ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
Bild: Neuerdings werden sogar Libellen von Hubschraubern parodiert

Die Zahlen sind alarmierend: Während sich Sekten regen Zulaufs erfreuen, ist bei Insekten in manchen Regionen ein Rückgang von bis zu 80 Prozent zu beobachten. Seit der immer weiteren Verbreitung der Nahrungsmittelketten ist die Nahrungsmittelkette selbst gefährdet, denn die Ketten verlangen intensiven Anbau in Monokulturen und den Einsatz von Insektiziden, allen voran Neonikotinoide. Der Lebensraum der Kerbtiere wird systematisch eingeengt.

Wie ist die Lage? Aus dem einstmals so stolzen Riesenbockkäfer ist ein Null-Bock-Käfer geworden. Eintagsfliegen müssen immer häufiger zu Halbtagsfliegen downgegradet werden, und Tausendfüßler zu Hundertfüßlern. Selbst die Fliege macht die Fliege, was sich negativ auf Vögel auswirkt, und die sind nicht einmal Insekten.

Fatal auch das Bienensterben, das alle Arten erfasst: Wildbienen, Waldbienen, Weltbienen. Nicht anders ist es bei … – wie heißen noch gleich die Viecher, die aussehen wie früher die Stutzen bei Borussia Dortmund? Jedenfalls werden auch anderen Hautflüglern die Hummelbeine langgezogen, als würde Mats Hummels reingrätschen.

Nicht einmal der Luftraum ist sicher: Fluginsekten kollidieren immer häufiger mit Drohnen, sogar die Drohnen selbst. Schon lange sehen sich Libellen von Hubschraubern parodiert, was ihrem Selbstbewusstsein abträglich ist, und die Artenvielfalt bei den Faltern nimmt rapide ab, außer bei den Hausverfaltern.

Die Zahlen bei den Schmetterlingen sind niederschmetternd, vor allem wegen der gierigen Sammler. Insekten fehlen bei der Leichenzersetzung. Junge Menschen können die Artenvielfalt nicht länger auf der Windschutzscheibe studieren. Der Käfer ist schon aus dem Straßenbild verschwunden. Seltsamerweise ist sogar der Mistkäfer gefährdet, obwohl die Mistproduktion weltweit zunimmt.

Gut, nicht alle Arten sind gefährdet: Hornisten haben in Orchestern Unterschlupf gefunden, selbst im Amateurbereich. Für Kakerlaken ist die Auftragslage erfreulich, überhaupt haben es Stadtinsekten gut, weil im urbanen Umfeld das Nahrungsmittelangebot (sprich: Müll) immer besser wird.

Die aktuellen Zahlen bei Grillenschaben sind ebenfalls vielversprechend wegen des Grillwachstums auf den Balkonen. Planierraupen haben Hochkonjunktur und sind für den Rückgang der Wildflächen mitverantwortlich. Die Aedes-Stechmücke feiert mit dem Zika-Virus eine Renaissance: Zu einer Direktübertragung schalten wir um nach Rio …

Was wir brauchen: Neben einem strengeren Insektenmonitoring – vielleicht helfen da Wanzen weiter – dringend weniger Nikotinoide, dafür mehr Nichtraucherzonen. Generell sollten Fluginsekten leichter an eine Starterlaubnis kommen können.

Ohne Insekten wird es bald keinen Honig mehr geben, keine Obstbäume, keine Wildpflanzen, keine Zeckenbisse. Okay, Letzteres lässt sich verkraften, aber wir Menschen müssen schleunigst umdenken, wenn wir noch mit dem Heuschrecken davonkommen wollen. Ohne Insekten müssen wir die Pflanzen nämlich bald mit Mund-zu-Mund-Bestäubung behelligen.

28 Jul 2017

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C. Breuer

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