taz.de -- Gewaltsame Kontrolle in der S-Bahn: Kein Ticket? Schwitzkasten
Ein Video zeigt, wie zwei Bahnmitarbeiter einen Schwarzen würgen und aus der S-Bahn zerren. Viele reagieren schockiert, andere rassistisch.
München, S-Bahn-Haltestelle Leuchtenbergring, Dienstag, 11.05 Uhr, Fahrscheinkontrolle. Ein schwarzer Passagier kann keine Fahrkarte vorzeigen, die Situation eskaliert. Als „ziemlich unsanft“ beziehungsweise „ziemlich ruppig“ bezeichnen [1][Bayerischer Rundfunk] und Focus Online den Vorfall später, als „völlig außer Kontrolle“ die [2][Bild]. Einfach nur „brutal“ oder „rabiat“ finden viele andere Medien, was sich in der S8 abspielte.
Dass sich mittlerweile schon fast jeder eine Meinung zu dem Vorfall gebildet hat, ist nicht verwunderlich. Denn rund anderthalb Millionen Menschen wurden inzwischen Zeuge des Geschehens. Indirekt, dank [3][eines Videos], das die Journalistin Natalija Miletic mit ihrem Smartphone in der S-Bahn aufgenommen hat. Darauf sieht man, wie zwei Sicherheitsleute der Deutschen Bahn den Mann aus dem Zug befördern: Einer von ihnen nimmt ihn in den Schwitzkasten, der andere löst seine Hände von einer Haltestange. Im Hintergrund hört man die Stimmen zweier Frauen. Die eine ist Miletic selbst. „The guy didn’t do anything to you guys“, ruft sie. „Lassen Sie ihn los, Sie tun ihm weh“, fordert eine andere. Am Ende der Szene liegt der Mann auf dem Bahnsteig, ein Wachmann kniet auf ihm.
Die Bundespolizei ermittelt nun – gegen den Fahrgast, einen 48-jährigen Nigerianer, wegen Schwarzfahrens, gegen die Bahn-Mitarbeiter wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Fahrgastverband Pro Bahn lobte bereits die Bahn, die sofort die Polizei eingeschaltet habe.
Es hätten sich mittlerweile Zeugen gemeldet, sagt eine Sprecherin der Bundespolizei. Weitere Auskünfte will sie jedoch nicht geben. Alle weiteren Details, so die Sprecherin, könnten weitere Zeugen beeinflussen. Wurde der Mann verletzt? Wo ist er jetzt? Gibt es weitere Erkenntnisse zum Geschehen? Kein Kommentar.
Natalija Miletic ist bislang als Einzige mit ihren Beobachtungen an die Öffentlichkeit gegangen. Ihrer Erzählung zufolge war den Handgreiflichkeiten der Sicherheitsleute keinerlei Aggressivität des Fahrgasts vorausgegangen. Auf die Fragen, die ihr mehr wie ein Verhör vorgekommen seien, habe er auf Englisch geantwortet, schließlich auch einen Ausweis vorgezeigt. Die Kontrolleure hätten die Personalien aufgenommen, den Mann dann gefragt, wie viel Geld er bei sich habe. Die 9 Euro, die er ihnen gezeigt habe, hätten sie ihm sofort abgenommen und ihm dafür eine Quittung ausgestellt – als Anzahlung auf die 60-Euro-Strafe. Als der Mann das Geld zurückgefordert habe, weil er sich sonst nichts zu essen kaufen könne, sei die Situation eskaliert. Den Rest zeigt das Video.
Rassistische Äußerungen der Security-Männer sind in dem Video nicht zu hören. Für Mitelic ist es zumindest aber ein klarer Fall von Racial Profiling, denn während sie die Personalien aufgenommen hätten, habe der eine Kontrolleur zu seinem Kollegen gesagt, der Mann sei ihm schon am Flughafen komisch vorgekommen.
Unzweifelhaft rassistisch sind dagegen viele Reaktionen im Netz. Etwa in den Kommentaren zu Miletic’ Video lassen User ihrer Genugtuung über die Behandlung des Mannes freien Lauf und beschimpfen die Journalistin übel. Mittlerweile hat sie auch anonyme Drohungen per Mail bekommen. „Das hättest du nicht tun dürfen einschließlich dem Geschrei, du Negerfotze“, heißt es etwa. Und: „Wir haben Eure Adresse (…) und wir wissen welches Viehzeug dort haust, also werden wir Euch ausräuchern.“ Miletic will das nicht auf sich beruhen lassen und hat die Polizei eingeschaltet.
29 Jun 2017
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Schulterbruch bei einer Ticketkontrolle – nur ein Einzelfall? Eine Petition prangert Diskriminierung und Gewalt durch Kontrolleure in Berlin an.
Antirassistische Organisationen starten Kampagne gegen Racial Profiling. Rot-Rot-Grün habe das Problem zwar erkannt, tue aber nicht genug.
Das Problem verdachtsunabhängiger Polizeikontrollen muss sachlich diskutiert werden. Stattdessen verflacht die Debatte im Wahlkampf.
Kleine Anfrage der Grünen: Gegen wen ist die Polizei an Silvester in Köln tatsächlich vorgegangen? Die Antwort wirft weitere Fragen auf.
Ob in der U-Bahn oder am Flughafen: Nicht-weiße Personen werden anders behandelt. Fünf Betroffene berichten von Alltagsrassismus und Racial Profiling.