taz.de -- Ulrich Brand über 40 Jahre BUKO: „Raum für radikale Einsatzpunkte“
Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) organisierte einst große Anti-Globalisierungs-Proteste. Nun wird sie 40 und leidet unter Bedeutungsverlust.
taz: Herr Brand, die BUKO galt mal als Thinktank der globalisierungskritischen Linken. Dieses Jahr wird sie 40, ist aber nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Was ist passiert?
Ulrich Brand: Die Bundeskoordination Internationalismus hatte ihre große Zeit in der Solidaritätsbewegung der 80er Jahre. Damals hieß sie noch „der“ BUKO, der Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen. Ein Höhepunkt waren die Proteste gegen IWF und Weltbank in Berlin 1988. Dann spielte sie eine große Rolle als Mitorganisatorin der Proteste gegen die G 7 in München und die G 8 in Köln in den 90ern sowie in der aufkommenden globalisierungskritischen Bewegung. Seit einigen Jahren hat sie nicht mehr diese zentrale Rolle.
Liegt das vor allem daran, dass immer mehr professionelle NGOs entstanden sind?
Natürlich sind andere Akteure, also etwa NGOs oder Netzwerke wie Attac, auf der Ebene der Kampagnen und Wissensproduktion stärker. Die BUKO wäre heute wahrscheinlich wichtiger, wenn sie sich in den Jahren nach dem Mauerfall wie viele andere auch NGOisiert, also professionalisiert hätte. Aber die Entscheidung, das nicht zu tun, halte ich bis heute für richtig.
Warum?
Die BUKO ist ein Dachverband, der in seinen Hochzeiten als Knotenpunkt funktioniert hat, dessen Mitgliedsgruppen die eigentliche Arbeit machen und etwa die Pharmakampagne organisiert haben. Die BUKO schafft es auch noch in gewissem Maß, Diskussionen anzuregen und vor allem einen Raum zu schaffen, um AktivistInnen zusammenzubringen. Heute ist das etwa die Vernetzung der „Recht auf Stadt“-Kämpfe oder das Engagement im Rahmen der G-20-Proteste. Insgesamt betrachtet kommen aktuell aber eher wenige Impulse für die internationalistische Bewegung aus der BUKO.
Wieso ist das so?
Erstens gab es immer eine dünne Personaldecke und die BUKO lebt als Netzwerkknoten vom Engagement der AktivistInnen. Das hat merklich nachgelassen. Zweitens gab es strategische Differenzen um die Kongresse, die die BUKO organisiert hat. Die offene Frage war und ist immer noch: Setzt man auf die interne Selbstverständigung einer radikalen internationalistischen Linken? Oder sucht man den Austausch mit anderen, bietet ein Forum und lädt Leute aus anderen Spektren oder auch mal Promis ein? Tendenziell hat sich die erste Position durchgesetzt.
Ist die BUKO deshalb auch einfach zu alt geworden?
Das ist schon ein Punkt. Die Hemmschwelle, in der BUKO anzudocken, ist sehr hoch. Das Spektrum der BUKO ist wichtig, das sind gestandene InternationalistInnen im besten Sinne. Aber die Gefahr ist, dass sie sich selbst genügen. Wo ist das Attraktive für junge Leute?
Wo könnte es sein?
Man muss sich überlegen, wie man in jüngere Spektren wirkt und attraktiv für sie wird, welche Angebote es für 18-, 19-Jährige geben kann. Wir haben lange sogenannte Crashkurse gemacht, etwa zu Antonio Gramsci oder der Frage, was Kapitalismus ist. Mit der Teilnahme von Jüngeren würden außerdem Fragen für die BUKO selbst aufgeworfen: Wo ist das Neue, wozu will man künftig arbeiten? Was auf den Kongressen passiert, hängt mittlerweile am Interesse von Einzelpersonen. Es wirkt etwas beliebig.
Sind die Soligruppen und -kampagnen, in denen noch gearbeitet wird, einfach ein überholtes Konzept?
Eine Kaffeekampagne ist weiter wichtig, Kaffee aus Chiapas oder Nicaragua soll weiter verkauft werden. Aber die Kampagnen bräuchten einen anderen Horizont. Die Frage ist, wie Kritik formuliert wird, die mehr ist als internationale Solidarität. Demnächst kommen Anti-Kohle-AktivistInnen aus Kolumbien, das ist wichtig und das Kerngeschäft der BUKO. Aber man muss weiterdenken, wie das mit den hiesigen Verhältnissen verwoben werden kann. Ich habe auch keine fertige Antwort, aber in der BUKO fehlt das Ringen um die Frage, wie wirklich ein Unterschied gemacht werden kann. Allerdings muss ich mich auch selbst kritisieren, da ich mich vor einigen Jahren zurückgezogen habe.
Ist die BUKO denn überhaupt noch relevant?
Jüngere – und auch Ältere – machen ja viel Neues. Nehmen sie beispielsweise die Interventionistische Linke, Klimacamps, neue Akteure wie das Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig. Aber es wäre schade, solch eine politisch sehr renommierte Struktur wie die BUKO aufzugeben. Die aktuelle Schwäche ist auch eher ein Spiegel der Schwäche des radikalen Internationalismus. Ich war gerade auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin. Das waren immer Spektren, in denen die BUKO Resonanzen entwickelt hat. Aber dieser Kirchentag war weitgehend un-internationalistisch und im schlimmen paternalistischen Entwicklungshilfejargon. Da spiegelt sich ein gesellschaftliches Bewusstsein, das es auch der BUKO schwer macht.
An welche Diskurse könnte die BUKO aktuell andocken?
Die Globalisierungskritik hat sich enorm ausdifferenziert und etwa über die Anti-Braunkohle-Bewegung erneuert. Die BUKO hat deshalb die Anti-Kohle-AktivistInnen aus Kolumbien eingeladen. Dieses Jahr öffnet sich die BUKO außerdem insofern, als sie ihren Kongress in die Konferenz Move Utopia integriert, bei der es um herrschaftsfreies und wachstumskritisches Leben und Wirtschaften, Systemwechsel und sozial-ökologische Transformation gehen soll. Das ist der Versuch, einen Neustart zu wagen.
Kann das klappen?
Wir sollten nicht vergessen, dass die BUKO eine Art internationalistisches Gedächtnis ist. Internationalismus muss sich zwar immer wieder erneuern, aber er hat ja auch eine spannende und kämpferische Geschichte. Außerdem vernetzt sie noch immer internationalistische Gruppen und bietet Raum, um radikale emanzipatorische Einsatzpunkte zu finden. Das ist bei so viel Weichspülerei und Zynismus in anderen politischen Spektren wichtiger denn je.
21 Jun 2017
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