taz.de -- Korruption in Russland: Bestechung als Ordnungsprinzip
Vom Gouverneur bis zum Beerdigungsinstitut: Warum die allgegenwärtige Korruption in Wladimir Putins Reich unausrottbar ist.
Moskau taz | Gebe es keine Korruption in Russland, wäre die russische Literatur um vieles ärmer. Wer wollte schon auf Romane wie Nikolai Gogols „Tote Seelen“ verzichten, in dem schwunghafter Handel mit Stimmen von Verblichenen betrieben wird, um die materielle Lage zu verbessern.
Die gegenwärtige Bestattungspraxis ist auch nicht frei von Korruption, aber an Raffinesse und Feinsinnigkeit reicht sie an die literarischen Vorbilder nicht heran. Häufig liegt nicht der Angehörige im Sarg, der zu Grabe getragen werden soll. Nicht selten wurde der Verstorbene bereits von einer anderen Familie beerdigt. Die Verwechslung war nicht aufgefallen, obwohl Russland am offenen Sarg Abschied nimmt. Auch die Immobilie Friedhof ist zwischen rivalisierenden Clans umkämpft.
Korruption ist in Russland mehr als ein vorübergehendes Übel. Es ist ein Ordnungsprinzip, das in vielen Lebensbereichen den Ton angibt. In der jüngsten Erhebung von Transparency International landete Moskau dementsprechend auf Platz 131 des weltweiten Korruptionsindexes von 176 Staaten.
Wer in höhere staatliche Positionen aufsteigen darf, wird vorher einer Prüfung unterzogen: Hat sich der Bewerber nichts zuschulden kommen lassen, stehen die Chancen auf einen lukrativen Posten eher schlecht. Kandidaten mit befleckter Weste werden in der semifeudalen Befehlskette des Kreml bevorzugt: Sie sind loyaler und erpressbar. Das erklärt, warum Versuche, der Korruption Herr zu werden, meist scheiterten.
Dennoch arbeitet der Geheimdienst FSB, der sich vornehmlich mit Korruptionsfällen beschäftigt, nicht ohne Erfolg gegen hohe Amtsinhaber. So wurden die Gouverneure von Sachalin, Perm und einer Reihe weiterer Regionen in den letzten beiden Jahren wegen Betrugsvorwürfen festgenommen.
In flagranti erwischt
„Es sind vor allem Gouverneure und niedere Beamte, die der FSB ins Visier nimmt“, meint dazu der Direktor von Transparency International in Moskau, Anton Pominow. Im letzten Jahr sorgte der Fall von Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew für Aufsehen. Er soll von dem staatlichen Ölriesen Rosneft zwei Millionen Dollar erpresst haben – als Salär für die Zustimmung für den Teilkauf der Ölfirma Baschneft. Dass ein materiell gesegneter Minister sich darauf einließ und sich auch noch in flagranti erwischen ließ, gilt als sehr ungewöhnlich, zumal zwei Millionen Dollar eher dem Status eines „Mer“, eines Bürgermeisters, angemessen wären als dem eines Ministers.
Überdies galt Uljukajew als loyaler Beamter. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er den Aufkauf Baschnefts durch Rosneft zunächst verhindern wollte, weil er ihn für eine Scheinprivatisierung hielt. Der Chef Rosnefts ist Igor Setschin, ein Intimus Wladimir Putins und Ex-FSB- General.
Uljukajew fiel auf, obwohl er der Führungsriege entstammt, die sonst gerne ausgespart wird. Derartige Vorfälle gelten als Signal, das nur Eingeweihte genau deuten können.
Die Bevölkerung hat sich mit der Korruption arrangiert. Jahrhundertelang war sie mit dem Problem der „kormlenie“ vertraut, zu Deutsch „Fütterung“. Russische Beamte erhielten nie ein ausreichendes Salär, stattdessen aber den Zugriff auf die Untergebenen, von denen sie sich die Privatschatulle auffüllen ließen. Auch das sicherte Loyalität gegenüber der Führung. Korruption stört die Bevölkerung zwar, sie rangiert aber laut Transparency Studie nur an dritter Stelle aller Probleme.
Zuletzt sorgte eine Enthüllung des Fonds zur Korruptionsbekämpfung des Oppositionellen Alexej Nawalny für Unruhe. Dem Premierminister Dmitri Medwedjew legten die Rechercheure zur Last, dass er Besitzer eines Euro-Milliarden-Vermögens ist – mit Weinbergen in der Toskana, Jachten und weitläufigen Latifundien. All das wird von undurchsichtigen Stiftungen verwaltet.
Das war der Auftakt für die Proteste, die im März begannen und die sich am Montag fortsetzten.
13 Jun 2017
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