taz.de -- Verhaftete Journalistin in der Türkei: Der stille Staat
Die Bundesregierung ist verärgert. Die türkischen Behörden hätten sie nicht über die Inhaftierung von Meşale Tolu informiert.
Berlin taz | Im Fall der in Istanbul verhafteten Journalistin Meşale Tolu bahnt sich eine neue diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei an. Wie das Auswärtige Amt am Freitag mitteilte, haben die türkischen Behörden die Bundesregierung entgegen völkerrechtlichen Vorschriften nicht über die Inhaftierung der deutschen Staatsangehörigen informiert. Auch auf die Bitte der Bundesregierung, Tolu konsularisch betreuen zu dürfen, habe die Türkei bislang nicht reagiert. „Das ist bedauerlich“, sagte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin.
Tolu zog im Jahr 2014 von Ulm nach Istanbul, wo sie als Journalistin arbeitete. Am frühen Morgen des 1. Mai [1][wurde sie in ihrer Wohnung festgenommen], seit dem 6. Mai sitzt sie in Untersuchungshaft. Bekannt wurde dies erst am Donnerstag dieser Woche. Wegen eines Geheimhaltungsbefehls der Behörden ist nicht bekannt, was der Journalistin konkret vorgeworfen wird.
Anders als der ebenfalls inhaftierte Journalist Deniz Yücel ist Tolu nur deutsche Staatsangehörige. Die türkische Staatsbürgerschaft hat sie nach Angabe ihrer Familie abgelegt. Damit gelten für sie die Vorschriften des [2][Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen]. Die türkischen Behörden hätten demnach das deutsche Konsulat in Istanbul unverzüglich über die Festnahme und die Untersuchungshaft informieren müssen. Außerdem ist der deutsche Generalkonsul eigentlich dazu berechtigt, mit der Inhaftierten „zu sprechen und zu korrespondieren sowie für eine Vertretung vor Gericht zu sorgen“.
„Wir haben nicht von türkischer Seite von diesem Fall gehört, sondern aus anderen Quellen“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes nun in Berlin. „Das ist bemerkenswert, weil die die türkische Regierung in anderen Fällen sehr sorgfältig mit diesen Verpflichtungen umgeht.“ Man arbeite nun „mit Hochdruck“ daran, Zugang zu Tolu zu bekommen. Neben der konsularischen Betreuung setze sich die Bundesregierung auch für „ein faires Verfahren“ ein. „Das ist das Mindeste, was wir erwarten“, sagte der Sprecher.
Insgesamt sind derzeit sechs deutsche Staatsangehörige in der Türkei inhaftiert, vier davon haben auch die türkische Staatsbürgerschaft. Mehrere andere Deutsche dürfen nicht aus der Türkei ausreisen, weil Ermittlungsverfahren gegen sie laufen. Am Donnerstag sprach Außenminister Sigmar Gabriel am Rande einer internationalen Konferenz in London mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım; der Umgang mit den betroffenen Deutschen war nach Angaben des Auswärtigen Amtes eines der Themen.
Kundgebung für Tolu in Ulm
Der Linkspartei reicht das nicht aus. Sie fordert von der Bundesregierung einen deutlicheren Kurs. „Außenminister Sigmar Gabriel muss den Botschafter der Türkei einbestellen und gegen den neuerlichen willkürlichen Angriff auf deutsche Pressevertreter protestieren“, sagte die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen.
Der türkische EU-Minister Ömer Celik kündigte schon am Donnerstag weitere Maßnahmen gegen Journalisten an. Zwar sagte er, die Türkei sei „natürlich ein sicheres Land für ausländische Journalisten“. Allerdings würden „natürlich die nötigen Maßnahmen“ gegen Personen ergriffen, die „unter dem Deckmantel des Journalismus kommen und sich in Aktivitäten mit Terrororganisationen mischen“. Insgesamt sitzen in der Türkei derzeit rund 150 Journalisten in Gefängnissen.
In Ulm, wo Tolu geboren wurde und aufgewachsen ist, wird am Freitag um 18:30 Uhr eine Kundgebung für ihre sofortige Freilassung stattfinden. Baki Selçuk, Sprecher der Organisatoren, sagte der taz: „Wir rufen alle, die für die Pressefreiheit sind, zur Teilnahme auf. Wir hoffen, dass unser Protest eine starke Botschaft an beide Regierungen sendet.“
12 May 2017
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