taz.de -- Kommentar Wahl in Frankreich: Banges Frühlingserwachen

Macrons Triumph verbannt die diskreditierten Parteien Frankreichs in Nebenrollen. Es ist wohl die letzte Chance, den Aufstieg der Rechten zu stoppen.
Bild: Erscheint heute als Hoffnungsträger: Emmanuel Macron

Eigentlich wäre das Resultat der ersten Wahlrunde in Frankreich ein Anlass zur Empörung: Mehr als 7,5 Millionen Franzosen und Französinnen (21,4% der Abstimmenden) haben mit ihrer Stimmabgabe für Marine Le Pen ein reaktionäres und nationalistisches Programm abgesegnet, um so diese rechtsextreme Kandidatin in die Stichwahl zu schicken. Schlimmer aber ist, dass dies so sehr erwartet wurde, dass es jetzt völlig banal erscheint.

Zur Erinnerung: Als ihr Vater Jean-Marie Le Pen 2002 den Sprung in die zweite Runde schaffte, löste dies in Frankreich einen Schock und eine demokratische Massenmobilisierung aus. Lange hielt deren Wirkung jedoch nicht an. Dass heute der Front National hinter der Maske einer sozialen Demagogie eine Politik an den Mann bringen will, die sich an faschistische Vorbilder anlehnt, bewegt die Wenigsten.

Im Vordergrund steht die Erleichterung, dass Le Pen wenigstens nicht mit einem Drittel der Stimmen an erster Stelle liegt, wie zu befürchten gewesen war. Also noch mal alles gut gegangen? Emmanuel Macron erscheint heute als Hoffnungsträger nicht nur einer neuen Generation, er möchte auch ein anderes Frankreich verkörpern, das statt auf das Jammern über den „Déclin“ (Niedergang) auf Erneuerung und Optimismus setzt.

Dieses Frühlingserwachen einer Nation, die sonst so gern dem Glanz der Vergangenheit nachtrauert, ist der Kern seines Programms und erklärt seinen Erfolg. Aus diesem Wunsch, endlich vorwärts zu schauen und das Potenzial der Innovation zu nutzen, kann Macrons neues Frankreich die Kraft schöpfen, mit einem anderen Selbstbewusstsein über seine Grenzen hinaus in die Zukunft zu schauen.

Es fällt leicht, diese zuversichtliche Perspektive gleich im Voraus als Illusion naiver Wähler abzutun. Doch Macrons Triumph verbannt immerhin die völlig diskreditierten traditionellen Parteien in Nebenrollen oder sogar in den Mülleimer der Geschichte. Nach dieser politischen Abbrucharbeit gibt es nun eine Grundlage zum Aufbauen, wie sie in Frankreich seit Jahrzehnten nicht bestand. Es ist vielleicht die letzte Chance, die völlig banalisierte Rechte bei der nächsten Gelegenheit an der Machteroberung zu hindern.

24 Apr 2017

AUTOREN

Rudolf Balmer

TAGS

Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Frankreich
Marine Le Pen
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Jean-Luc Mélenchon
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Jean-Luc Mélenchon
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Jean-Luc Mélenchon

ARTIKEL ZUM THEMA

Diskussion an der Berliner Schaubühne: Er arbeitet!

Ein chaotischer Abend: Daniel Cohn-Bendit, Hélène Kohl, Pascale Hugues und Elise Graton diskutieren über Frankreich nach und vor der Wahl.

Kommentar Wahl in Frankreich: Lasst uns endlich über Europa reden!

Der Front National in der Stichwahl ist zur Alltäglichkeit geworden. Die Abstimmung am 7. Mai wird so zum Referendum: Frexit oder nicht?

Analyse zur Wahl in Frankreich: Das Prinzip Macron

Die erste Runde der Präsidentschaftswahl hat Emmanuel Macron gewonnen. Was macht ihn so erfolgreich? Und reicht es gegen Le Pen?

Analyse der Frankreich-Wahl: Die Parteiendämmerung

Sowohl die Sozialisten als auch die Konservativen haben in Frankreich eine krachende Niederlage eingefahren. Triumphiert haben die „Anti-Parteien“.

Frankreich-Wahl in Berlin: Vive la France!

Die in Berlin lebenden Französ*innen haben gewählt: und zwar mehrheitlich links. Die Rechtsextreme Marine Le Pen bekommt hingegen nur 2,1 Prozent.

Proteste in Frankreich: Neun Verletzte in der Wahlnacht

Vor allem Linke hatten sich in Paris versammelt, um gegen die beiden Wahlsieger Le Pen und Macron zu demonstrieren. Dabei kam es zu Zusammenstößen.

Die Républicains nach der Wahl: Opfer einer „Hexenjagd“

Enttäuschung und Zurückhaltung im Fillon-Lager. Viele Anhänger schieben die Niederlage der Justiz zu. Wen wählen sie in der zweiten Runde?

Auf der Wahlparty von Mélenchon: Alles Faschisten

Bei der Frankreich-Wahl muss der Linke Jean-Luc Mélenchon eine Niederlage einstecken. Seine Anhänger geben sich unbeugsam.

Nach der Wahl in Frankreich: System auf Abruf

Die französische Politik steckt in Schwierigkeiten. Es gibt keine eindeutigen Mehrheiten mehr, die Wähler haben Lust auf Veränderung.

Wahl in Frankreich: Gegen das System spielen

Emmanuel Macron und Marine Le Pen stehen in der Stichwahl. Fünf Lehren, die wir aus der Frankreich-Wahl mitnehmen können.

Präsidentschaftswahl in Frankreich: Macron und Le Pen vorn

Die Wahllokale sind zu, Hochrechnungen sehen Emmanuel Macron als Sieger. Das Ergebnis verschärft die Krise der etablierten Parteien.