taz.de -- Militarisierung in Japan: Abes Säbelrasseln macht nervös

Die konservative Regierung schürt bewusst Kriegsangst vor Nordkorea. Das soll Zweifel am Pazifismus der Verfassung wecken.
Bild: Frühling in Japan: Kirschbäume blühen in Tokio und Patriot-Abwehrrakten sind aufgestellt

Tokio taz | Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg bereitet Japans Regierung die Bevölkerung auf den Kriegsfall vor. Der Zivilschutz veröffentlichte jetzt Verhaltensregeln für einen nordkoreanischen Raketenangriff. Premierminister Shinzo Abe handelt dabei wohl nicht nur aus Sorge um Japan. Er kann so auch Stimmung für die Abschaffung der pazifistischen Verfassung machen.

Man werde die Japaner über Sirenen und Notfallmails vor einem Raketenangriff warnen, teilte der Zivilschutz im Internet mit. Dann sollten die Bürger wegen der „extrem kurzen“ Flugzeiten der Raketen sofort in Gebäude und Keller flüchten oder sich hinter größeren Objekten mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Wer schon in Gebäuden sei, solle die Nähe zu Fenstern meiden.

Wenige Tage zuvor hatte Abe vor einem Giftgasangriff gewarnt. „Die Sicherheitslage um unser Land herum spitzt sich zu“, sagte er. „Womöglich ist Nordkorea bereits in der Lage, Raketen mit Sarin abzuschießen.“ Japans Marine übte gemeinsam mit Südkorea und den USA schon den Abschuss von nordkoreanischen Raketen. Einige Testgeschosse fielen in diesem Jahr nahe japanischer Hoheitsgewässern herunter.

Danach probte man an Japans Westküste den Ernstfall. „Dies ist eine Übung. Eine Rakete wurde abgeschossen“, schallte es in der Pause über den Schulhof der Grundschule von Oga. Kinder und Lehrer warfen sich zu Boden, dann sprangen sie auf und rannten in die Sporthalle. Schließlich kam die Entwarnung: „Die Rakete ist 20 Kilometer vor der Küste ins Meer gefallen.“

Die Kriegsrhetorik macht viele Japaner nervös. Im April verzeichnete die Webseite des Zivilschutzes an einzelnen Tagen so viele Aufrufe wie sonst in einem ganzen Monat. Ein Hersteller von Atombunkern meldete eine Verzehnfachung der Nachfrage. Die Zahl der Auslandsjapaner, die sich beim Außenministerium registriert haben, verdoppelte sich schlagartig, nachdem für den Fall eines Koreakriegs die Evakuierung aller Japaner aus Südkorea angekündigt wurde. Japanische Firmen zogen Angehörige ihrer Mitarbeiter vorsorglich aus Seoul ab.

Kritik aus Südkorea

Dort löste das japanische Verhalten Stirnrunzeln aus. „Solche Bemerkungen können Missverständnisse verursachen und Frieden und Sicherheit negativ beeinflussen“, kritisierte ein Sprecher von Südkoreas Außenministerium. Japan sollte sich zurückhalten. Doch Abe kündigte sogar an, einen Krieg nutzen zu wollen, um in Nordkorea vermutete entführte Japaner zu befreien: „Falls etwas in Korea geschieht, werden wir die USA fragen, bei der Rettung der Entführten zu helfen“, sagte Abe.

Die Nervosität dürfte die große Zustimmung der Bevölkerung zu den Pazifismusklauseln der Verfassung schwächen. Das spielt Abe in die Hände. Er will Japan durch eine Verfassungsreform zu einem „normalen“ Land machen. Ein heißer Konflikt in Korea könnte ihm dabei helfen, etwa über eine vorgezogene Neuwahl die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament für seine Verfassungsänderungen zu bekommen.

Bisher verbietet Artikel 9 der Verfassung Japan das Recht auf Kriegsführung. Abe setzte jedoch durch, dass Japan bei Konflikten an der Seite seines Verbündeten USA kämpfen darf, auch wenn es selbst nicht direkt angegriffen wird. Doch Nordkorea brachte laut Regierung eine „neue Stufe der Bedrohung“. Japan müsse „24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr“ alarmbereit sein, erklärte Exverteidigungsminister Itsunori Onodera. Man brauche neue militärische Optionen.

Das von ihm geleitete Sicherheitspolitikgremium von Abes Liberaldemokraten fordert die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems THAAD in Japan und das Recht zum Präventivschlag gegen Nordkorea.

24 Apr 2017

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Martin Fritz

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