taz.de -- Kolumne Geht’s noch?: Kapitalismushintergrund

Der Bombenleger von Dortmund hatte wohl Unerhörtes im Sinn: Geld verdienen auf Kosten von Menschenleben. Das kannte man so bisher natürlich nicht.
Bild: Terror mit Börsenhintergrund? Kann doch nicht wahr sein

Nichts ist spannender als Wirtschaft: Nach der [1][vermutlichen Aufklärung des Bombenanschlags] auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund erweist sich der alte Slogan der Wirtschaftswoche als geradezu prophetisch. Denn der Attentäter hat offenbar keinen islamistischen, sondern einen Börsenhintergrund.

Statt 72 Jungfrauen lockten ihn 3 Millionen Euro Rendite. Dafür hat er streng ökonomisch-rational gehandelt: Am besten verdient hätte er, wenn möglichst viele Dortmunder Spieler umgekommen wären. Nun ist das Entsetzen über diese Variante der Gewinnoptimierung groß. Geldverdienen auf Kosten von Menschenleben! Hat es so etwas jemals gegeben in der Geschichte des Kapitalismus?

Gegen [2][die Kritik an der Entscheidung], das Spiel einen Tag nach dem Anschlag zu wiederholen, wurde eingewendet, es gebe nun mal zwingende Sachgründe (sprich: wirtschaftliche Notwendigkeiten), außerdem sei es ein wichtiges Zeichen gegen den Terror. Und was sagt uns dieses Zeichen nun? Dass die Wertschöpfungskette nicht unterbrochen werden darf, nur weil dabei ein paar Leute draufgehen? So viel zur Symbolik.

Natürlich ist die Tat von Dortmund in besonderer Weise erschreckend. Denn anders als etwa bei Lebensmittelspekulationen oder Finanztransaktionen in der Öl-, Textil- oder Technologiebranche gab es diesmal nicht abstrakte indirekte Opfer in irgendwelchen Entwicklungsländern, sondern es waren ganz reale Auswirkungen auf Champions-League-Ergebnisse zu befürchten, und da hört der Spaß nun mal auf. Einen solchen Anschlag auf unsere westlichen Werte können wir uns nicht gefallen lassen.

Observiert Christian Lindner!

Was aber tun? Muss der Verfassungsschutz künftig nicht nur islamistische Hassprediger, sondern auch Christian Lindner observieren?

Werden Börsianer demnächst als Gefährder mit elektronischen Fußfesseln gesichert?

Müssen die Waffengesetze auf Optionsscheine ausgeweitet werden? Und wird der Wirtschaftsteil der FAZ endgültig als Terrorpropaganda verboten?

Immerhin, eine neue Debatte über den Umgang mit Ausländern dürfte dieser Terroranschlag, obwohl der Täter Deutschrusse war, nicht auslösen. Denn anders als bei all den Islamisten kann man diesmal wohl festhalten: Integration weitgehend gelungen.

21 Apr 2017

LINKS

[1] /!5402829/
[2] /!5401046/

AUTOREN

Heiko Werning

TAGS

BVB
Terrorismus
Kapitalismus
Börse
Wetten
Schwerpunkt Meta
Borussia Dortmund
BVB
Lügenleser
BVB
Liebeserklärung

ARTIKEL ZUM THEMA

taz-Serie Der Zuckerberg | Teil 1: IT-Blümchen ist jetzt bei Facebook

Menschen ab Mitte 40 lassen ihr Leben bequem austrudeln. Doch Vorsicht! Wir werden älter. Und noch 50 Jahre bei Facebook können lang werden.

Anschlag auf BVB-Bus: Zimmer mit Aussicht

Der Tatverdächtige des Anschlags in Dortmund sitzt nun in Untersuchungshaft. Er plante wohl ein Massaker am gesamten BVB-Team.

Nach Anschlag auf BVB-Mannschaftsbus: 28-Jähriger festgenommen

Der Anschlag in Dortmund scheint keinen islamistischen Hintergrund zu haben. Der mutmaßliche Täter soll auf einen Kursverlust der BVB-Aktie gesetzt haben.

Kolumne Lügenleser: Die Bombe und der Klugscheißer

Eine Woche nach dem Dortmund-Anschlag ist noch nichts über die Täter bekannt. Doch im Internet stehen die Besserwisser Gewehr bei Fuß.

Nach der Attacke auf den BVB-Bus: Rätselhafter Anschlag

Die Ermittler haben weiterhin keine heiße Spur. Die vorgeblich islamistischen Bekennerschreiben geben der Polizei Rätsel auf.

Kolumne Liebeserklärung: Borussia Dortmund

Im Profifußball wird sonst alles geschluckt. Doch das BVB-Team beschwerte sich über die frühe Wiederansetzung des Spiels.