taz.de -- Sprache und Lebensrealität: Feministin nur mit Genderdiplom?
Wie weiter? Mit ein bisschen mehr Gelassenheit. Statt sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen, sollten sich Frauen zusammentun und solidarisch sein.
„Dit nervt: Ick bin und bleibe Sänger.“ Sagt eine meiner Freundinnen, eine bekannte Musikerin und eine der stärksten Frauen, die ich kenne: sozial und gerecht bis in die Fußnägel, offen im Alltag für jede und jeden und alles. Zunächst ernährte sie zwei Kinder und einen Mann, später brachte sie ihre Kinder und sich als Alleinerziehende durch. Sie muss sich gegen Männer auf der Bühne durchsetzen und knallharte Honorarverhandlungen führen. Sie weiß, was es heißt, benachteiligt zu sein und sich jeden Morgen fit zu machen für die Herausforderungen in einer Männerdomäne.
Trotzdem bleibt sie beinhart beim generischen Maskulinum, der sie als Frau – zumindest sprachlich – ausschließt. Sie hasst dieses ganze Gescharre um Political Correctness: all die Binnen-Is, Unterstriche und Sternchen, Unisex-Toiletten, Gleichstellungsbeauftragten und Quoten. „Brauch ich alles nicht, mein Leben als Frau wird nicht besser, wenn es das alles gibt“, sagt sie.
In dieser Freundin vereint sich das Desaster der aktuellen Feminismusdebatten und der gegenwärtigen Frauenbewegung: Ist nur eine „echte Feministin“, wer Sänger*innen sagt und schreibt? Wer queer ist und nicht einfach „nur“ lesbisch oder schwul? Wer vegan oder wenigstens vegetarisch isst?
Oder darf sich auch eine als Feministin sehen, die mit den universitären Diskursen nichts anfangen kann, aber nach allen feministischen Regeln lebt? Die ihre Kinder ohne Geschlechterklischees erzieht, bei Aldi den Chef der Filiale anranzt, weil der eine Verkäuferin angeranzt hat, weil die nicht schnell genug abkassiert hat? Und die gleich mal nachfragt, ob die Frauen an der Kasse genauso viel verdienen wie der Mann, der draußen die Einkaufswagen zusammenschiebt?
Sein bestimmt das Bewusstsein
Es ist eine alte Kluft, die Frauen offenbar nicht schließen können: Statt sich zusammenzutun und miteinander solidarisch zu sein, gehen sie sich gegenseitig an (und auf die Nerven), weil die einen angeblich nicht politisch korrekt sprechen und die anderen angeblich nicht richtig leben. Weil Letztere – wegen der Kinder und der Familie – Teilzeit oder gar nicht arbeiten, obwohl sie durch ihr Studium und ihre feministischen Mütter doch wissen, dass das ein wirtschaftliches und persönliches Risiko ist und außerdem schlecht für die Rente.
Es ist ein dialektisches Problem: Kognitionsforscher*innen haben herausgefunden, dass das, was in der Sprache nicht vorkommt, auch nicht gedacht und damit auch nicht gelebt wird. Wer als Kind immer nur von Trompetern, Fußballern und Taxifahrern hört, denkt irgendwann, dass nur Männer musizieren, Fußball spielen und Auto fahren können. Die oder der kommt dann nie auf die Idee, dass Frauen und Männer das Gleiche können und dafür gleich bezahlt werden müssen. Und Väter ebenso gut für ihre Kinder sorgen können wie Mütter.
Andererseits bestimmt das Sein das Bewusstsein. Wenn eine selbstbestimmt lebt und das macht, was sie für richtig hält, eine in jeder Hinsicht emanzipierte Frau ist, braucht sie vielleicht tatsächlich keine gegenderte Sprache. Weil sie längst weiß, worum es geht. Und dafür weder einen Sprachkurs noch ein Genderdiplom braucht.
Was ist nun richtig, durchdacht und lebensnah? Sagen wir mal so: Wenn wir uns alle zurücklehnen und genau überlegen, was Diversity für uns persönlich heißt, nämlich auch andere Äußerungen und Haltungen ernst zu nehmen, dann wären wir um einiges entspannter. Ob mit Sternchen oder ohne.
8 Mar 2017
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