taz.de -- Englische Industriestadt Stoke-on-Trent: Ukip gegen Labour

In Stoke-on-Trent will die rechte Ukip- der Labour-Partei den Parlamentssitz abnehmen. Der Ort ist geprägt von Politikverdrossenheit.
Bild: Ein Ukip-Anhänger vor seinem eigenen Wahlkampfbüro in Stroke-on-Trent

Stoke-on-Trent taz | Paul Nuttall hat seine Halbglatze kahlgeschoren und sich einen modischen Bart zugelegt. Der neue Führer der rechtspopulistischen Ukip (United Kingdom Independence Party) ist der Star der Kandidatenshow an der Staffordshire University, wo sieben Männer um die Gunst des Wahlpublikums kämpfen. Nur wenige Monate, nachdem er Nigel Farage als Parteichef abgelöst hat, will Nuttall in der mittelenglischen Industriestadt Stoke-on-Trent am Donnerstag ein Direktmandat erringen. Es wäre erst der zweite Parlamentssitz für Ukip und der erste Sieg gegen Labour.

Bei den Parlamentswahlen 2015 war Ukip im Wahlkreis Stoke Central mit 22,7 Prozent zweitstärkste Partei hinter Labour. Beim Brexit-Referendum 2016 stimmten 70 Prozent für den EU-Austritt, die Wahlbeteiligung war doppelt so hoch wie ein Jahr vorher. Kein Wunder, dass Paul Nuttall Blut roch, als der Labour-Abgeordnete Tristram Hunt im Dezember seinen Sitz zugunsten der Leitung des Victoria and Albert Museum in London aufgab. Jetzt will sich Ukip als die wahre Arbeiterpartei profilieren. Labour ist in der Defensive. Dass der neue Labour-Anwärter, der hochgewachsene Gareth Snell, den Brexit auf Twitter als „massiven Haufen Scheiße“ bezeichnete, hilft ihm in diesem Wahlkampf nicht.

Für Ukip geht es um die Rolle der Partei nach dem Brexit. Nuttalls Kandidatur ist riskant, nicht zuletzt auch weil es nach dem Abgang Nigel Farages in der Partei zu Rangeleien gekommen war. Im Wahlkampf hat Nuttall mit dem Vorwurf zu kämpfen, das er gar nicht im Wahlkreis wohnte. „Es war ein Versehen“, sagte er dann. „Die Wohnung ist meine, ich bin im Begriff, da einzuziehen.“ Eventuell könnte ihm nachträglich das Recht zur Kandidatur abgesprochen werden. Auch Labour hat einiges zu befürchten. Geht Stoke Central verloren, werden auch die Getreuen von Parteichef Jeremy Corbyn daran zweifeln, dass er Labour bei den nächsten Wahlen zum Sieg führen kann.

Auf dem Podium der Universität überragt keiner der Kandidaten. Labours Snell muss sich wegen seiner Anti-Brexit-Tweets rechtfertigen. Nuttall sagt, er sei die einzig wahre Brexit-Stimme. Mit dieser Parole wirbt Ukip in der ganzen Stadt. Auf einem Plakat sind oben Paul Nuttall und unten Labour-Chef Jeremy Corbyn zu sehen, dazu: „Vertraut Ukip, uns aus der EU zu führen, Labour möchte euch drinnen lassen!“

Einigkeit in nur einem Punkt: Nicht die Tories wählen

Den Wählern ist der Wettkampf zwischen Ukip und Labour herzlich egal, Politikverdrossenheit prägt die Stimmung in Stoke. „Alle Parteien pissen in denselben Topf“, sagt Bauarbeiter Trevor, 52, seinen Nachnamen will er nicht nennen. „Dahinten“, erzählt er und zeigt auf einen Hügel in der Ferne, „hat mein Opa gearbeitet.“ Dahinten stand einst das Kohlebergwerk Trentham, heute ist da eine Schule und ein Sportplatz. „Als die Mine 1994 schloss, sah man erwachsene Männer weinen“, erinnert sich Trevor. Auch andere Industriezweige brachen zusammen.

Die Menschen machen dafür Margaret Thatcher verantwortlich. Aber sie sind auch enttäuscht, dass die späteren Labour-Regierungen nichts für Stoke taten. „Viele Leute hier wollen nicht arbeiten“, sagt Richard Cyples, 29, in einer Generatorenwerkstatt. „Tausende sind hier arbeitslos, und nicht nur weil es keine Arbeit gibt.“ Er weiß nicht, wo er sein Kreuzchen bei der Nachwahl machen soll – das gilt für unüblich viele Wähler hier. Nur, dass sie nicht die Tories wählen, da sind sich fast alle einig.

Fragt man die Leute hier, fehlen Investitionen in Sozialwohnungen, ins Gesundheitssystem und in die Infrastruktur. Lara, 34, ist Mutter von fünf Kindern. Der älteste ist 17, der jüngste, ein Zweijähriger, quengelt neben ihr an der Hand. Die Politiker kümmerten sich nicht um Gegenden wie diese, sagt sie, also sei ihr Politik ebenfalls egal. Sie wählt nicht, sie hat es noch nie getan.

Automechaniker Chris Kelly, 44, schimpft auf die Muslime und die anderen Einwanderer. „Die machen alle irgendwelche Deals und stecken das Geld ein, andere betrügen den Sozialstaat“, will er wissen. „Ich habe keinen Bock mehr auf all das“, sagt er. „Wenn ich könnte, würde ich auswandern. Nach Australien oder Frankreich.“

22 Feb 2017

AUTOREN

Daniel Zylbersztajn

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