taz.de -- Debatte Kinderkriegen trotz Armut: Unbezahlbare Leichtigkeit

Darf man Kinder wollen, wenn man sie sich nicht leisten kann? Unbedingt! Hartz IV ist besser als viel Arbeit und wenig Zeit für die Familie.
Bild: Verkehrte Welt: Die Geburtenrate ist dort am niedrigsten, wo es am meisten gibt

„Wie lange wollen Sie dem Steuerzahler noch auf der Tasche liegen? Mit einem Kind wird Ihr Leben auch nicht einfacher. Sie können Ihrem Kind doch nichts bieten!“

Was ich damals der Mitarbeiterin im Jobcenter hätte antworten wollen, ist mir erst draußen eingefallen: „Mein Leben soll nicht einfacher werden. Ich brauche eine Aufgabe! Wenn meine Arbeitskraft nicht gebraucht wird, will ich wenigstens Kinder kriegen. Die brauchen mich. Und was ich ihnen bieten kann? Ein Leben!“ Das sagte ich nicht, sondern steckte meinen Mutterpass ein und schluckte den Kloß im Hals runter. Hätte die Frau darauf vielleicht die Schultern gezuckt und geantwortet: „Es kann eben nicht jeder alles haben?“

Vielleicht hab ich meine Kinder aus Trotz bekommen, weil ich meine Fortpflanzung nicht vom Geld abhängig machen wollte, sondern der Meinung war, dass es mit Zeit und geringen Ansprüchen auch ohne viel Geld gehen muss. Mein Schlussfolgerung aus der Behauptung, dass nicht jeder alles haben kann, ist: Dann muss eben geteilt werden.

Denn wenn der Kampf, den die Menschheit führt, nur hieße: Jeder scheffelt so viel wie möglich und sorgt dafür, dass es ihm keiner wegnimmt, dann wären wir längst ausgestorben. Der Kampf, den wir führen, heißt: teilen oder nicht teilen. Die Geburtenrate ist dort am niedrigsten, wo es am meisten gibt. Eine Frau im deutschen Wohlstand bekommt durchschnittlich 1,3 Kinder und eine in Kenia 6,3.

Gebraucht, geborgt, geschenkt, getauscht

Als ich mit 24 Jahren mein erstes Kind bekam, war ich mir sicher, dass ich alles erreichen kann. Dann kamen Kompromisse und immer mehr Kompromisse dazu. Was ich erreichen wollte, musste geändert werden, und ich fragte mich, wie viele Bewerbungsablehnungen ein Mensch eigentlich ertragen kann.

Meine Hauptaufgabe bestand darin, für die Kinder alles, was Geld kostete, gebraucht, geborgt, geschenkt, getauscht und manchmal geklaut zu besorgen. Wenn meine Tochter tanzen ging, wischte ich danach die Halle. Wenn die Kinder im Oktober noch mit Sandalen rumliefen, fragte ich Freunde und Bekannte nach alten Winterschuhen. War die Waschmaschine kaputt, schleppen wir die Wäsche zu Freunden, bis jemand eine neue kaufte und wir die alte bekamen.

Ein Fahrradhelm für 2 Euro wurde beklebt und besprüht von einem Nachbarn für meinen Sohn. Wenn ich an mir heruntersah, fand ich kein gekauftes Kleidungsstück. Der Strom der weitergegebenen Kleidung hat uns im Überfluss beliefert. Wenn wir am Wochenende einen Ausflug machten mit den Rädern und der S-Bahn raus aus der Stadt, half nur ein geschulter Blick für Kontrolleure. 42 Euro für die Fahrkarten ins Umland waren nicht drin.

Unser Leben funktionierte durch die Beanspruchung von Hilfe. Wir profitierten davon, in einer Gesellschaft zu leben, in der die meisten genug oder zu viel besitzen und gar nicht so ungern etwas abgeben, wenn es jemand wirklich braucht. Wir brauchten es wirklich. Wir waren zufrieden. Solange es um die Kinder ging, störte mich die Rolle der immer nur Nehmenden nicht.

Notwendiges teurer als Luxus

Wenn ein Millionär der Meinung ist, das viele Geld stünde ihm zu, wieso sollte ich nicht der Meinung sein, dass mir das wenige Hartz IV zusteht? Immerhin erziehe ich Kinder für diese Gesellschaft. Lieber wäre mir allerdings, wenn sie in einer Gesellschaft groß würden, in der das existenziell Notwendige billiger ist als Luxus. Aber Mieten sind teurer als Flugreisen, eine Monatskarte so teuer wie zwei neue Hosen. Ich wollte es nicht bereuen, Kinder bekommen zu haben, sondern hatte es für möglich gehalten, die teilweise unwürdigen Umstände in würdige zu verwandeln. Für die Kinder wenigstens.

Dann sah ich mich im Spiegel, stand da mit einem Schrubber in der Hand im Tanzsaal und erschrak. Kann es sein, dass ich mich selbst bemitleide? In meiner Opferrolle aufgehe und das alles nur ein Ablenkungsmanöver ist, um mich nicht als Versagerin zu sehen?

Ich hatte geglaubt, den Kindern eine genauso gute Kindheit bieten zu können wie eine Mutter mit Geld und dafür ohne Zeit. Der Kraftaufwand war zwar riesig, aber ich war jung und froh über die Kinder. Die Kraft war da. Gegen den Vorwurf, dass man keine Kinder kriegen sollte, wenn man kein Geld hat, hielt ich das Argument, dass man es auch nicht tun sollte, wenn man lieber arbeitet, als sich mit seinen Kindern zu beschäftigen.

Ich wollte Geld nicht als Hauptrezept für Zufriedenheit anerkennen.

Der Stolz, aus billigen Lebensmitteln etwas Gesundes gekocht zu haben, oder bei der Tanzaufführung zwischen den Eltern zu sitzen, die 30 Euro im Monat zahlen konnten, hat mir als Antrieb gereicht. Manchmal konnten wir von den Jobs und Hartz IV gerade so leben. Das Problem war nur: Kein Kind durfte krank werden. Zu Hause bleiben bedeutete: kein Geld. Dispo: null. Rücklagen: null. Keine Großeltern, die helfen können.

Unsere Ansprüche waren gering. Ich wollte das genießen, was da war. Kinder zu haben als Selbstverständlichkeit ansehen.

Keine Angst vorm Absturz

Aber es war auch manchmal belastend für die Kinder, dass wir uns so oft durchmogeln mussten, obwohl ich ihnen eigentlich nur ein unverbogenes Vorbild sein wollte und gemacht habe, was ich am besten konnte und am meisten wollte. Kinderkriegen unter anderem.

Wer nichts hat, dem kann man nichts wegnehmen, das gibt dem Leben eine unbezahlbare Leichtigkeit. Zu wissen, dass es auch ohne Geld geht, ist eine der wertvollsten Erfahrungen, die dem fehlt, der in finanzieller Sicherheit lebt und gelernt hat, den Absturz zu fürchten.

Ein altes Foto, auf dem wir auf einem Feld liegen, erinnert mich an die Zeit, in der wir von Hartz IV lebten. Es erinnert mich daran, dass ich glücklicher war als jetzt, da ich mit drei verschiedenen Jobs jongliere und meine Zeit gefühlt zu 90 Prozent mit Arbeit verbringen muss, um 10 Prozent leben zu dürfen.

[1][ Mehr Texte aus der Reihe „Familienangelegenheiten“ unter taz.de/Familie ]

10 Feb 2017

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AUTOREN

Franziska Hauser

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