taz.de -- Dschungelkönig Marc Terenzi: Quoten- und Retortenkönig

Der ehemalige Boybandleader und TV-Lover hat das diesjährige Dschungelcamp gewonnen. 8,34 Millionen Menschen haben dabei zugeguckt.
Bild: Marc Terenzi (Mitte) ist jetzt Dschungelkönig

Authentizität ist voll Achtziger. Spätestens seit der Milli-Vanilli-Affäre von 1990 ist klar und irgendwie auch akzeptiert: Popkultur wird am Reißbrett gemacht, nicht von echten Menschen, die etwas Echtes zu sagen haben.

Und so ist es nur gerecht, dass der Gewinner der [1][elften Staffel von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ (Volksmund: „Dschungelcamp“),] der unrealistischsten Reality im deutschen Fernsehen, einer ist, der schon seit nahezu zwei Jahrzehnten im Reality-Kosmos mitmischt: Boybandleader, TV-Lover und Stripper Marc Terenzi (38).

Ab 1999 war Terenzi Frontmann der Band Natural („Put your arms around me“, Sie erinnern sich. Doch, doch, Sie erinnern sich), einer Kreation von Backstreet-Boys- und *NSYNC-Retortenchef Lou Pearlman. Ironischerweise war die Boyband alles andere als „natürlich“, sondern beinahe orwellesk konstruiert.

So war es Bandmitgliedern zum Beispiel verboten, feste Freundinnen zu haben – weswegen Terenzi wegen seiner Beziehung zur Delmenhorster Popkönigin Sarah Connor auch rausflog. Terenzi nahm’s gelassen und vermarktete statt Schnulzen eben sein Liebesleben. „Sarah and Marc in Love“ lief 2005 auf ProSieben und hatte seinen Höhepunkt in der Hochzeit der beiden. 2008 gab es eine zweite Staffel, dann trennte sich das Paar.

In der Zwischenzeit war Terenzi auch mit Reality-Show-Kandidatin Gina-Lisa Lohfink liiert, die er (Sie erraten es) in dieser Staffel des „Dschungelcamps“ wiedertraf. Kommt sich noch irgendjemand gerade dezent verarscht vor?

Egal. 8,34 Millionen haben sich das Finale des RTL-Würgereflexformats am Samstag reingezogen. Das sind schon fast „Tatort“-Quoten. Und das wohlgemerkt an einem Samstag. 8,34 Millionen haben sich also gegen das echte Leben und für krampfig geskriptete Realität entschieden. Das kann man nicht niederreden. Der Bedarf ist da. Früher, in den Neunzigern, da wollten wir die perfekten porzellangesichtigen Boyband-Engel, heute wollen wir B-Promis, die pürierte Schafshoden und Schweinesperma essen. Am Ende bekommen wir dann immer dasselbe: Marc Terenzi.

29 Jan 2017

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Peter Weissenburger

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