taz.de -- Schriftsteller über postkoloniale Literatur: „Neue urbane Kulturen“

Der französisch-kongolesische Schriftsteller Alain Mabanckou spricht bei den französischen Literaturtagen in Frankfurt und danach in Berlin.
Bild: Schriftsteller Alain Mabanckou: „Afrika ist mehr als ein Kontinent“

taz: Herr Mabanckou, sehen Sie sich mehr als Schriftsteller, der in der französischen Schreibtradition verankert ist, oder in der afrikanisch-kongolesischen?

Alain Mabanckou: Es ist eine Mischung von beiden. Ich bin in der französischen Schreibtradition verankert, aber ich bringe auch mein kleines Universum aus Kongo-Brazzaville mit. Die Worte sind auf Französisch geschrieben, aber der Rhythmus meines Werks kommt aus dem Kongo. Er ist mitunter sehr sehr schnell, und er fußt auf Erzählungen. Ich bin zuallererst ein Geschichtenerzähler. Insofern ist meine Schreibtradition eine Mischung aus französischer und kongolesischer Tradition, wenn nicht sogar der zentralafrikanischen.

In Ihrem Roman „Stachelschweins Memoiren“ parodieren Sie afrikanische Volksmythen. Und in „Morgen werde ich zwanzig“ skizzieren Sie anhand einer jugendlichen Liebesgeschichte die postkoloniale Situation im Kongo. Welche Bedeutung hat die kongolesische oder afrikanische Dimension in Ihren Romanen?

Ich glaube die kongolesische oder afrikanische Dimension besteht darin, dass viele Sprichwörter, Erzählungen und Mythen in meinen Werken vorkommen. Ich bleibe der Tradition treu, wonach der Schriftsteller ein Geschichtenerzähler ist. „Stachelschweins Memoiren“ ist eine Fabel, eine Erzählung. „Morgen werde ich zwanzig“ ist eine Kindheitsgeschichte, die in einem Französisch erzählt wird, das im Kongo gesprochen wird: Mit seinen Wiederholungen und spezifischem Vokabular und Abschweifungen.

Sie haben in Aufsätzen über die afrikanische Literatur der Gegenwart und den modernen afrikanischen Schriftsteller geschrieben. Welches sind die großen Themen der postkolonialen schwarzafrikanischen Literatur?

Ich glaube, es ist die Analyse der Situation des ehemals Kolonialisierten. Wie kann der von Frankreich Kolonialisierte in einer globalisierten Welt leben? Es handelt sich um eine Literatur, die sich mit dem Thema der Migration auseinandersetzt. Es ist eine Literatur, die den früheren Kolonialisierten zeichnet, mit seiner Verzweiflung, mit seinen Träumen und vielleicht auch Visionen inmitten der Globalisierung. Es ist also eine Literatur, die ein anderes Afrika beschreiben will als das in früheren Zeiten, und sie beschreibt, wie die Afrikaner heute, die früher kolonisiert waren, sich in neuen urbanen Kulturen einbringen, die außerhalb Afrikas sind. Es ist also auch eine Literatur, die erklärt, warum Afrika mehr ist als nur ein Kontinent. In vielen afrikanischen Romanen finden sie heute Figuren, die von Süden nach Norden reisen. Von Afrika nach Europa. Die die afrikanischen Gesellschaften beschreiben, aber auch die ausländischen, die ihre Figuren neu für sich zum Leben wählten.

Sie sind Professor für französische Literatur an der University of Los Angeles (UCLA). Was versuchen Sie Ihren Studenten dort zu vermitteln?

Ihnen zu sagen, dass französische Literatur nicht nur aus Frankreich kommt. Die Literatur in französischer Sprache ist viel ausgedehnter als das französische Territorium. Es ist eine globale Literatur, welche Kontinente umspannt. Sie findet sich an der amerikanischen Küste, in Montreal, auf den Inseln, in Haiti, in der Schweiz, in Belgien oder in afrikanischen Ländern. Ich will den Amerikanern vermitteln, dass sie, wenn sie heute den Reichtum der Literatur in französischer Sprache kennenlernen wollen, nicht nur französische Autoren lesen dürfen. Es gibt viele, die von woanders herkommen und die französische Sprache bereichern. Die neue umfangreiche fiktionale Welten schaffen und sehr global denken.

Inwiefern unterscheiden sich die Rezeptionsweisen Ihres Werks in Europa, den USA und Ihrem Heimatland Kongo?

Es handelt sich um eine Rezeption, die sich allmählich ausgeweitet hat. Ich glaube, die Tatsache, dass meine Werke nun in 20 Sprachen übersetzt wurden, gibt einem das Vertrauen, dass man nicht nur für französischsprachige Menschen schreibt. Man schreibt also für alle möglichen Personen, die zu verstehen versuchen, dass die Welt heute eine ist, in der wir alle Verantwortung tragen. Es ist also auch eine Literatur des Humanismus. Und vielleicht hat mich das bis heute angetrieben zu schreiben.

In „Black Bazar“ haben Sie allerlei Spitznamen kreiert. Der Protagonist ist „Fessologue“ (Arschologe), seine Exfreundin ist „Ursprungsfarbe“. Wie lautet denn ein Spitzname für Alain Mabanckou?

(lacht) Ich erinnere mich daran, dass man mich immer das Einzelkind genannt hat. Das Kind, das allein war. Weil ich keine Brüder und Schwestern hatte und es eine Seltenheit ist, in Afrika Einzelkind zu sein.

20 Jan 2017

AUTOREN

Maryam Schumacher

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