taz.de -- Nach Verhaftungen in der Türkei: Tränengas in Istanbul
In der türkischen Metropole protestierten Hunderte gegen die Festnahme von HDP-Politikern. Der IS bekennt sich zu einem Anschlag in Diyarbakir.
Istanbul afp/dpa | Die Polizei in Istanbul ist am Samstag mit Tränengas und Wasserwerfern gegen hunderte Demonstranten vorgegangen, die in der türkischen Metropole gegen die Festnahme kurdischer Politiker protestierten. Wie mehrere AFP-Reporter berichteten, demonstrierte die Menge vor einer Moschee im Bezirk Sisli im europäischen Teil von Istanbul. Viele betitelten den Staat in Sprechchören als „faschistisch“ und riefen „Wir werden nicht schweigen“.
Die Polizei griff aber rasch ein und trieb die Menge auseinander. Neben Tränengas und Wasserwerfern setzte sie auch Gummigeschosse ein. Der Protest der Menge richtete sich gegen die Festnahme von mehreren Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP. Unter den Festgesetzten sind auch die beiden Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag.
An den Razzien der türkischen Behörden hatte es massive internationale Kritik gegeben. Dessen ungeachtet ordnete ein Gericht in Istanbul am Samstag an, dass neun Mitarbeiter der türkischen Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ weiter in Haft bleiben. Unter ihnen ist auch Chefredakteur Murat Sabuncu.
Die Polizei hatte bei Razzien insgesamt zwölf HDP-Abgeordnete festgenommen. Der deutsch-türkische Abgeordnete Ziya Pir und zwei weitere Parlamentarier wurden unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Die HDP teilte mit, man müsse mit weiteren Festnahmen rechnen. Erdogan beschuldigt die zweitgrößte Oppositionspartei, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.
Sowohl die Festnahmen der HDP-Abgeordneten als auch das Vorgehen gegen die Journalisten riefen international Kritik hervor. Die „Cumhuriyet“-Mitarbeiter werden beschuldigt, die PKK und die Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von Mitte Juli verantwortlich. Gülen weist das zurück. Unter dem nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand geht die Regierung mit harter Hand gegen Gegner vor.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kritisierte die jüngsten Vorgänge in der Türkei als „völlig inakzeptabel“. Die sogenannten „Säuberungen“ widersprächen dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, sagte Maas dem „Donaukurier“ (Samstag). „Wo kritische Journalisten und Oppositionelle in Angst leben müssen, ist die Demokratie in Gefahr“, sagte der Minister.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich unterdessen erstmals zu einem Selbstmord-Bombenanschlag in der Türkei. Über sein Sprachrohr Amak reklamierte der IS in der Nacht zum Samstag eine schwere Autobombenexplosion nahe einer Polizeizentrale in Diyarbakir für sich. Zuvor hatte der IS schon die Verantwortung für Attentate auf Personen in der Türkei übernommen.
Der Anschlag folgt einem Aufruf des IS-Anführers Abu Bakr al-Bagdadi gegenüber „ungläubigen, türkischen Soldaten“ Stärke zu zeigen, nachdem türkische Streitkräfte im August mit verbündeten Rebellen in Syrien einmarschiert waren und den IS aus einigen Gebieten an der Grenze vertrieben hatten.
Die türkische Regierung hatte den Anschlag mit neun Toten am Freitag zunächst der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zugeschrieben.
5 Nov 2016
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