taz.de -- Die Wahrheit: Ich bin Verschwörungspraktiker
Von Bilderbergern und Illuminaten erhalte ich als Lügenjournalist Anweisungen, welche ihrer Pläne geheimgehalten werden sollen.
Angenehm ist der Alltag als Lügenjournalist. Müsste ich die wirklich wahre Wahrheit berichten, hätte ich zwar viel zu tun. Über unterirdische Bunker berichten, in denen die Regierung eine Armee schwer bewaffneter Islamisten darauf trainiert, an einem bevorstehenden Stichtag alle gläubigen Christen zu massakrieren. Geheime Pläne zur schleichenden Umvolkung unseres Vaterlandes ausplaudern. Mir vorliegende Kenntnisse über Sinn, Zweck und Funktionsweise von Chemtrails ausbreiten. Auch reizt es mich durchaus, unsere Politiker als das zu entlarven, was sie sind – hybride Reptiloide aus dem All, die auf feinstofflicher Ebene die Menschheit kontrollieren, um den Planeten auszubeuten.
Aber das bezahlt einem ja keiner, das steht längst alles im Weltnetz. Lukrativer ist es gerade für den freien Journalisten, sich der Systempresse anzudienen. Mein Laptop beispielsweise wurde mir eines Tages von den Bilderbergern zugeschickt – verbunden mit der Bitte, gefällige Textchen zu verbreiten, es solle mein Schaden nicht sein.
Meine Anweisungen erhalte ich seitdem jeden Morgen per E-Mail, mal von einer Redaktion, mal von freischaffenden Illuminaten. Ich frage nicht nach, viel zu gefährlich. Meistens soll ich Artikel schreiben, in denen um Verständnis für Flüchtlinge geworben oder Hass auf Patrioten geschürt wird. Das ist publizistischer Mainstream und ziemlich leicht, ich muss nur die bekannten Lügen variieren – die Gutmenschen werden es schon schlucken. Zündet mal wieder ein Syrer seine Unterkunft an, mache ich daraus einen „rechtsextremen Brandanschlag“. Zündet dagegen ein Linksextremist den BMW von Frauke Petry an, mache ich „technische Probleme“ dafür verantwortlich.
Bis zum Mittag bin ich damit fertig und schwimme ein wenig im Pool, der vermutlich mit den Tränen ridikülisierter Reichsbürger gefüllt ist. So genau weiß ich das nicht, weil mir die Freimaurer diese Villa an der korsischen Küste gebaut haben. Und mit denen legt man sich besser nicht an, wenn man eine Familie zu ernähren hat.
Nach dem Mittagessen (Soylent Green ist wirklich Menschenfleisch!) verfasse ich ein paar Kommentare, in denen ich islamistische Terroristen für 9/11 und überhöhte Geschwindigkeit für den Tod von Jörg Haider verantwortlich mache – wohl wissend, dass jeweils Geheimdienste ihre schmutzigen Finger im Spiel hatten.
Nachmittags nehme ich dann Anrufe entgegen. Die EU bittet darum, dass ich sie in irgendeinem Forum „im Namen der Vernunft“ für „unverzichtbar“ halte. Die Nato will, dass ich mit einer pointierten Glosse gegen Putin die Öffentlichkeit auf einen Krieg mit Russland vorbereite. Und die jüdische Finanzplutokratie teilt mir mit, dass zur Belohnung für meine Aktivitäten mal wieder die Anzahl der Aktien erhöht wurde, die ich an der BRD GmbH halte.
Gleichwohl ahne ich, dass ich für meine Lügen werde bezahlen müssen. Daher dieser Text. Hoffentlich hilft er mir, wenn ich eines Tages vor dem Volksgerichtshof zur Rechenschaft gezogen werde.
30 Sep 2016
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