taz.de -- Im Elektro-Auto zur Ostsee: Hab mein Wagen vollgeladen

An die Ostsee fährt man von Berlin in wenigen Stunden. Im E-Auto aber ist es eine Schnitzeljagd zwischen Steckersalat und Schnellladestationen.
Bild: Obwohl wir nur 95 km/h fahren, sinkt die Batterieanzeige schnell

235 Kilometer sind es von der taz bis nach Usedom. Unser Auto: strombetrieben, ein Renault Zoe, geliehen von der Pressestelle. 240 Kilometer Reichweite verspricht der Hersteller. Doch diese Angaben stimmen nur bei idealen Voraussetzungen. Heizung, Klimaanlage, hohe Geschwindigkeiten, selbst der Radiobetrieb – all das verringert den Radius. Also müssen wir zwischendurch aufladen. Beim Blick auf die Deutschlandkarte sind wir optimistisch. Das Netz der E-Tankstellen scheint ziemlich dicht. Dann die Ernüchterung: Nicht alle sind mit allen Autoherstellern kompatibel, auch gibt es diverse Steckertypen. Wo können wir mit unserem Auto überhaupt tanken?

Freitag, 9 Uhr. Berlin

Unser Auto ist komplett geladen, 155 Kilometer Reichweite zeigt das Display an – nicht 240. Die Reichweite leitet sich vom Fahrverhalten ab: Die Person, die den Wagen vor uns hatte, ist also großzügig gefahren, vermutlich viel Autobahn.

Liegen bleiben wäre peinlich, also haben wir uns vorbereitet, sind ausgerüstet mit E-Tankstellenkarten und diversen Notfallnummern. Auch das Kabelchaos hat sich gelichtet. Es gibt eine Vielzahl von Anschlüssen, aber EU-Standard ist der Typ-2-Stecker, der fast durchgängig Verwendung findet. Zusätzlich haben wir einen Schukostecker für gewöhnliche Haushaltssteckdosen im Gepäck.

9.23 Uhr. Berlin

Beinahe geräuschlos rollen wir stadtauswärts. Bei unter 30 Kilometern pro Stunde hört es sich im Wageninnenraum so an, als würde ein Ufo landen. Das Auto ist das Gegenteil von knarzig. Und es ist schnell: Von 0 auf 50 geht es in vier Sekunden. An Ampeln lassen wir große Benziner problemlos stehen.

10.33 Uhr. Auf der A11

Wir geben Prenzlau ins Navi ein, etwa 120 Kilometer von Berlin entfernt. „Ziel nicht erreichbar“, warnt das System. Obwohl wir nur 95 km/h fahren, sinkt die Batterieanzeige schnell. Und an der letzten Lademöglichkeit bis Prenzlau sind wir eben vorbeigefahren. Wir werden nervös.

10.55 Uhr. Bernau

Das Navi hat gewonnen, wir drehen lieber um. Die Station in Bernau ist ein Schnelllader, zwei Autos können gleichzeitig tanken, das örtliche Renault-Autohaus hat sie aufgestellt. Gut für uns, denn 10 Euro kostet es für Renault-Fahrer*innen, 40 Euro für alle anderen. Wer den Strom stellt, bestimmt den Preis.

Wir schließen das Auto an. Nichts passiert. Das Einrasten des Steckers ist eine opake Wissenschaft, ein Mitarbeiter des Autohauses muss uns helfen. Eine Dreiviertelstunde Restladezeit zeigt das Display an. Als wir zurück auf der Straße sind, ist es schon 12 Uhr.

13.05 Uhr. Prenzlau

Wir haben noch 66 Kilometer Reichweite, als wir in Prenzlau ankommen, und laden lieber noch mal auf. Der örtliche Stromanbieter Uckerstrom hat die Säule direkt vor der Fußgängerzone aufgestellt, sie lässt sich per SMS öffnen und hat einen passenden Typ-2-Steckeranschluss. Super, denken wir, doch auch mit Gewalt lässt sich der Stecker nicht in die Dose drücken. Der Griff am Kabel ist zu groß. Das Büro von Uckerstrom ist gleich nebenan, dort leihen wir uns ein Kabel. Tanken ist kostenlos, anderthalb Stunden später geht es weiter nach Usedom.

16.55 Uhr. Heringsdorf

Acht Stunden haben wir gebraucht, dennoch sind wir entspannt, als wir auf Usedom ankommen. „Elektroauto“, sagen die Spaziergänger*innen auf der Strandpromenade, bleiben stehen, sehen uns anerkennend hinterher. Sie hören das Auto nicht. Im Straßenverkehr kann diese Geräuschlosigkeit gefährlich werden. Es dämmert bereits, als wir unsere Unterkunft erreichen. Eine Steckdose finden wir nicht, stattdessen baden wir in der Ostsee.

Samstag, 10.30 Uhr. Usedom

Auf Usedom gibt es mehrere Schnelllader, einen davon auf einem Parkplatz am Strand, wo wir die Wartezeit überbrücken wollen. Doch für die Ladesäulen braucht man eine Karte zum Bezahlen. Wir rufen den Betreiber des Parkplatzes an, sein Sohn kommt vorbei und leiht uns eine. Wir fachsimpeln über Elektroautos, Teslas, Ladezeiten und Starkstrom. Wir gehören schon dazu. Berlin, glauben wir, erreichen wir in sechs Stunden. Maximal. Aber dann kommt erst mal ein Stau. Es ist Ferienende.

14.30 Uhr. Pasewalk

Eigentlich würden wir gern wieder in Prenzlau laden, doch es ist Samstag und Uckerstrom hat geschlossen, das Kabel können wir also nicht ausleihen. Stattdessen fahren wir nach Pasewalk. Die Ladestation, die wir in einem E-Tankstellenverzeichnis gesehen hatten, finden wir nicht. Wir rufen den Betreiber an, Antwort: Es gibt in Pasewalk keine. Also doch weiter nach Prenzlau. In der Ladesäule dort ist auch eine gewöhnliche Steckdose.

15.05 Uhr. Prenzlau

Wir holen unser Kabel mit Schukostecker aus dem Auto. Elf Stunden Restdauer, zeigt das Display im Auto an, schneller schafft es die Haushaltssteckdose mit ihren 3,7 Kilowatt nicht. Besonders bitter: Nur zehn Kilometer weiter steht ein Supercharger vom US-Hersteller Tesla, der mit 135 Kilowatt lädt. Benutzen dürfen wir den nicht, Teslas only.

Gut zwei Stunden und drei Portionen Pommes später ist die Batterieanzeige von 34 auf 46 Prozent geklettert. Wir glauben, dass wir damit zum nächsten Schnelllader nach Eberswalde kommen. Das Navi glaubt, wir schaffen es nicht.

18.27 Uhr. Eberswalde

Ohne Radio, ohne Klimaanlage und mit Tempo 80 auf der Autobahn erreichen wir Eberswalde mit fünfzehn Kilometern Restreichweite. Navi versus Intuition: 1 zu 1. Ha!

Wir laden das Auto auf 80 Prozent, mehr als genug für die letzten Kilometer bis nach Berlin. Endlich kriechen wir nicht mehr. Doch mehr als 135 km/h geht nicht, das Auto ist gedrosselt. Der Stromverbrauch steigt bei dieser Geschwindigkeit rasant an.

Fast zehn Stunden waren wir unterwegs. Wir drehen das Radio auf. Die Klimaanlage läuft. Kurz vor Berlin leuchtet die Anzeige rot, uns ist es egal. Im Radio läuft „I need a hero“ von Bonnie Tyler.

11 Sep 2016

AUTOREN

Valerie Höhne
Tobias Pastoors

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