taz.de -- Berliner Flüchtlingsrat wird 35: Flüchtlingshelfer seit Jahrzehnten
Der Flüchtlingsrat stellt umfassende Forderungen an den Senat. Dass dazu auch die Einhaltung geltender Gesetze gehört, wirft ein schlechtes Licht auf dessen Praxis.
Der Berliner Flüchtlingsrat feiert am Mittwoch seinen 35. Geburtstag – und nutzt die Gelegenheit zur öffentlichen Aufmerksamkeit. Mit einem breiten Forderungskatalog an den Senat begeht das Lobbygremium für Geflüchtete am Mittwoch sein Jubiläum.
Und hält dabei mit Kritik an den flüchtlingspolitisch Verantwortlichen in Berlin nicht hinterm Berg: Dass die Aufnahme Schutzbedürftiger aktuell vor allem in „populistischen und rassistischen Debatten“ verhandelt werde, dazu hätten „nicht zuletzt die Katastrophenbilder vom Lageso“ beigetragen, heißt es in dem Papier des Rats. Vor dem damals für die Flüchtlingsaufnahme zuständigen Landesamt hatten im Sommer 2015 Hunderte teils wochenlang warten müssen – versorgt nur von ehrenamtlichen HelferInnen.
Auf bessere Versorgung und Unterbringung Geflüchteter bezieht sich denn auch ein Großteil der Forderungen des Rats, der bereits seit Langem verlangt, Flüchtlinge statt in Heimen von Anfang an in Wohnungen unterzubringen. 50.000 statt wie derzeit etwa 6.000 auch für Geflüchtete bezahlbare Wohnungen soll der Senat bauen, die Massenunterkunft in den Hangars des ehemaligen Tempelhofer Flughafens „umgehend“ geschlossen werden.
Forderungen nach Einhaltung und Kontrolle vorgeschriebener Qualitätsstandards in Flüchtlingsunterkünften oder nach spezifischen Hilfen für besonders Schutzbedürftige wie minderjährige Geflüchtete, Schwangere, Kranke und Behinderte sind eigentlich Forderungen nach der Einhaltung bereits geltenden Rechts – und werfen damit ein Licht darauf, wie die Betreuung Geflüchteter aktuell in Berlin tatsächlich aussieht: Sie entspricht in vielen Fällen nicht gesetzlichen Vorschriften.
Der Flüchtlingsrat kritisiert dabei vor allem die Senatorin für Jugend, Bildung und Wissenschaft, Sandra Scheeres (SPD). Geflüchtete Kinder erhielten nur erschwert Zugang zum regulären Bildungssystem, minderjährige Flüchtlinge würden in Notunterkünften ohne angemessene Betreuung untergebracht, sagt Ratssprecher Georg Classen: „Scheeres hat etwa das Konzept von begleiteten Minderjährigen erfunden, also Kindern, die zusammen mit einem Onkel oder der 18-jährigen Schwester gekommen sind.“ Diese bekämen dann nicht, wie es für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge vorgeschrieben ist, Unterstützung der Jugendhilfe und einen Vormund. Scheeres’ Verwaltung verstoße damit „vorsätzlich gegen Gesetze“.
Der Flüchtlingsrat fordert deshalb auch eine Beschwerdestelle sowie Flüchtlingsfürsprecher und Heimbeiräte in den Unterkünften und bessere Kontrollen der Qualifikations- und Eignungsnachweise des dort tätigen Personals. Ratssprecher Georg Classens Geburtstagswunsch: Der Forderungskatalog soll nach der Wahl am 18. September in einen Koalitionsvertrag aufgenommen werden.
Lesen Sie auf den Berlin-Seiten der gedruckten taz am Mittwoch ein Interview mit Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat.
7 Sep 2016
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