taz.de -- Kölner Tatort „Durchgedreht“: Ein Mord zum Mitsingen

Der erste „Tatort“ nach der Sommerpause führt die ARD-Zuschauer in die Domstadt. Da sind alle so crazy, dass man am liebsten lostrillern möchte.
Bild: Erst der Mord, dann wieder Klavier, Klavier, Klavier

Ein Mädchen sitzt in einem Karton im Keller. Der Mann, der eben noch die Waffe auf sie gerichtet hatte, redet mit Radiomoderatorenstimme auf das verstörte Kind ein: „Hallo, na? Keine Angst! Niemand tut dir was. Bist du die Anna? Ja, ich bin Polizist. Kommst du mit nach oben?“

Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) kann ganz gut mit Kindern. Obwohl er ja selbst keine hat. Dann setzt Betroffenheits-Klaviermusik ein. Und zwar so penetrant, dass man glaubt, der Polizist beginne gleich, ergriffen zu singen. Tatsächlich: Der „Tatort“ mit dem Titel „Durchgedreht“ (Regie: Dagmar Seume) erinnert in seiner Überdeutlichkeit an ein Musical.

Anna (Julie-Helena), das kleine Mädchen, hat die Leichen von Bruder und Mutter – „fünf Stiche ins Herz“ – gefunden und den Mörder gesehen. Ein Phantom mit schwarzer Kapuze. Was war es also: gescheiterter Einbruch oder Mord? Dann wieder Klavier, Klavier, Klavier.

Der Täterkreis besteht aus dreitagebärtigen Männern mit lockerer Krawatte und labiler Psyche – deutlich gemacht mit vielen Schnapsflaschen. Das Sahnehäubchen ist ein böser Journalist. Und so rätseln sich Ballauf und Schenk (Dietmar Bär) durch die Lebensläufe und streiten in plakativen Dialogen darüber, ob das Kind durch eine Psychologin befragt oder in die Obhut des Schwagers gehört. Schenk zu Ballauf: „Du hast eben keine Kinder!“ Ja. Wissen wir.

Wenn gerade keine mit Klaviermusik unterlegten Detailaufnahmen – Pinsel streicht über Türschloss; Kind stochert in Tümpel – zu sehen sind, sehen wir die Kommissare fast ausschließlich beim Hin- und Herschieben von Familienfotos. Wenigstens Alexander Beyer – anfangs blass – überzeugt als leidender Vater.

Der „durchgedrehte“ Tatort kommt einfach nicht in Fahrt. Am Ende hätte es jeder gewesen sein können. Sie hätten doch besser singen sollen.

21 Aug 2016

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Axel Weidemann

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