taz.de -- Kommentar Boris Johnson und Brexit: Over and out

Vor einem Jahr war er noch für den Verbleib in der EU. Londons Ex-Bürgermeister ist aus purem Opportunismus umgeschwenkt. Nun hat er den Salat.
Bild: Bedröppelt? Boris Johnson

Wie ein Sieger sah er nicht aus. Dabei hatte Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson vor einer Woche den vermeintlich größten Coup seiner politischen Karriere gelandet: [1][Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union] und [2][Premierminister David Camerons Rücktritt]. Erschien aber nicht freudig überrascht, sondern entsetzt. Das Brexit-Votum hat seine Pläne zunichte gemacht.

Johnson, der voriges Jahr noch für den Verbleib in der EU war, ist aus Opportunismus umgeschwenkt. Er wollte dieses Referendum nicht gewinnen.

Sein Kalkül war, dass die Brexit-Befürworter knapp verlieren, woraufhin er als prinzipientreuer Held geglänzt und nach einem Jahr das Amt von Cameron übernommen hätte. Nun hat er den Salat, zumal Cameron ihm Plan B zunichte gemacht hat. Er hat seinem Nachfolger einen Giftbecher hinterlassen, indem er ihm die Austrittsverhandlungen mit der EU und allem, was damit zusammenhängt, aufgehalst hat – nicht zuletzt Schottlands bevorstehenden Austritt aus dem Vereinigten Königreich.

Von der dortigen Premierministerin Nicola Sturgeon könnte Johnson in Sachen Taktik viel lernen. [3][Sie hat bereits Gespräche mit der EU über Schottlands EU-Mitgliedschaft aufgenommen].

Johnsons Plan C wird ebenfalls nicht funktionieren. Wenn er glaubt, mit dem Brexit-Votum im Rücken eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der EU zu haben, weitere Zugeständnisse herausholen und bei einem neuen Referendum für den Verbleib in der EU eintreten zu können, hat er sich abermals verrechnet. Ginge die EU darauf ein, könnte sie ihren Laden dichtmachen.

Cameron und Johnson sind beides Eton-Zöglinge und gehören der Elite an. Johnson hat es aber geschafft, diesen Makel, den viele Wähler darin sehen, abzuschütteln. Er hat den Konservatismus der Tories neu definiert als einen populistischen, ausländerfeindlichen Nationalismus. Darin hat er mit dem US-Möchtegernpräsidenten Donald Trump mehr gemein als nur die alberne Frisur.

30 Jun 2016

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Ralf Sotscheck

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