taz.de -- Die Fotos eines Überzeugungstäters: Nah dran am Mythos
Günter Zint fotografierte die Beatles und Hendrix, den Anti-AKW-Widerstand und St. Pauli. Zum 75. Geburtstag zeigt eine Ausstellung in Hamburg seine wichtigsten Bilder.
HAMBURG taz | Ganz nah dran am Mythos, das war Günter Zint immer. 1968 gründete der Fotograf die Bildzeitungsparodie St. Pauli Nachrichten. Für die Zeitung, in der linker Boulevard genauso Platz bekam wie Erotikfotos, schrieben in der Anfangszeit unter anderem Stefan Aust und Henryk M. Broder. Zint, der 1959 als Bildvolontär bei der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt begann, war auch in den Anfangsjahren der taz dabei. Fotografierte für den Spiegel, bis der sich wegen seiner SDS-Kontakte von ihm trennte.
Zint schlich sich bei der Sekte „Children of God“ ein. Fotografierte in den frühen Achtzigern die Demos der Anti-AKW-Bewegung in Gorleben: Auf den Bildern laufen Menschen wie schwarze Scherenschnitte vor grauem Himmel, über ihnen ein Hubschrauber – ein Bild wie aus dem Krieg.
Zint nahm das Straßenleben St. Paulis auf, die Huren, die spielenden Kinder, die Rocker, die Betrunkenen, die Polizisten. Aber auch den Glamour: Zint fotografierte als Hausfotograf des Star Clubs auf St. Pauli Jimi Hendrix mit Gitarre, Zappa, 1971 einen jungen Udo Lindenberg ohne Sonnenbrille, aber mit Zylinder. Die Beatles hatte Zint so häufig vor der Linse, dass er tatsächlich begründen kann, warum er Lennons Intellekt lieber mochte als McCartneys Schwiegersohn-Charme.
Heute ist Stefan Aust Herausgeber der Welt. Lennon ist seit 36 Jahren tot, Henryk M. Broder verwaltet seinen Islamhass und Lindenberg die eigene Legende mit zunehmend seichtem Deutschpop. Zint ist aber noch immer da; er lebt heute bei Stade. Einer, der nie mitmachte bei der großen Karriere, sondern immer nur das machte, was ihm sinnvoll vorkam: „Im Moment arbeite ich gemeinsam mit Hinz & Kunzt an einem Buch über Hamburger Obdachlose“, sagt er.
Erlesenes Best-of
Zint, graue Haare, einer, den man bemerkt, obwohl er gar nicht besonders aussieht, vielleicht liegt es an seinen wachen Augen. An diesem Hamburger Sommerabend steht er in einem Galerieraum im schicken Hamburger Viertel Pöseldorf. Draußen ein Friseur, der sich Coiffeur nennt, an einer Ecke hängen Anzugmänner beim Feierabendstößchen auf Barhockern.
Ausgerechnet da, wo sich Hamburg am sattesten fühlt, eröffnet heute seine Fotoausstellung „Zintstoff“, ein erlesenes Best-of seines riesigen Werkes: Bilder von Lennon, von der Anti-AKW-Bewegung, von Rockern auf St. Pauli. Viele sind gekommen. Viele Ältere, weniger Junge.
„Weißt du noch?“, flüstert eine Besucherin ihrem Begleiter zu, als sie Zints Schwarz-Weiß-Aufnahme des Star Clubs sieht. „Das war eine ganz andere Zeit“, sagt ein Fotograf, der Zint schon seit den Siebzigern kennt. „Da war noch etwas los in Deutschland.“ Man selbst blickt auf den jungen John Lennon, den Zint als Standfotograf beim Anti-Kriegsfilm „How I Won the War“ ablichten durfte: sehr runde Brille, zerzaustes Haar, lachend, früher so schön wie heute. Und denkt, dass sich das Foto gut über dem Küchentisch machen würde.
Es ist leicht, über Zints Bilder einen dekorativ-nostalgischen Zugang zur Vergangenheit zu finden: Man versteht sie dann als ins Foto gegossene Schwarz-Weiß-Erinnerungen an eine Zeit, als es auf St. Pauli noch keinen Tourismus um den Dreck gab und junge Menschen noch zu wissen schienen, für welchen Protest es sich zu leben lohnte. Vermutlich funktioniert diese links-nostalgische Lesart dann gerade deshalb so gut, weil Zint einer ist, der im Gespräch zwar um die eigene Legende weiß und gerne erwähnt, dass er Leute von der RAF kannte – dem diese Koketterie aber auch zusteht, weil er sich nie verkaufte.
Die Frage ist aber, ob man diese Lesart mitgehen will, bei der die Ästhetik am Ende den Inhalt frisst. „Das war immer Form follows Function“, sagt Zint selbst über seine Bilder. Die kritische Haltung, nicht der beste Winkel oder gar die Nachbearbeitung macht das Bild. „Wer sich nach dem richtet, was Mode ist, dessen Bilder haben ein schnelles Verfallsdatum.“
Überzeugungstäter
Wer sich Zeit nimmt in der Galerie in Pöseldorf, wer vielleicht auch die Starfotos links liegen lässt und den Blick in Zints Straßenszenen sinken lässt, der merkt, dass da tatsächlich noch mehr steckt in den Bildern als der Widerhall. Denn dann tritt die Haltung hinter dem Mythos zutage: Auf dem Bild „Vatertag“ umarmt ein Mann auf St. Pauli eine Laterne, ein kleines Mädchen klammert sich an ihren Vater, blickt den Betrunkenen an mit vollem Unglauben.
Zints Porträts der Hure Domenica, die später durch Auftritte in Talkshows berühmt wurde: Sie blickt in einen Spiegel, als sähe sie sich selbst durch die Blicke eines anderen. Am eindrucksvollsten: Zints Foto von der kürzlich verstorbenen Anti-AKW-Aktivistin Marianne Fritzen, umzingelt von einer Gruppe Polizisten. In ihrem Gesicht liegt kein Hass, keine Wut, nur schlauer Argwohn, als sei hier eine auf der Hut. Hinter den Szenen, die Zint einfing, steckte häufig Gewalt, Konflikt, denkt man. Sein Blick selbst aber war immer angstbefreit.
Am Ende bestellt man keinen Lennon-Druck für die Küche, auch keinen Bildband, obwohl der sich gut im Regal machen würde. Stattdessen nimmt man lauter Fragen mit nach Hause: Warum kommt einem eine Biografie wie die von Zint heute unwahrscheinlicher vor? Was wären die Szenen, die er heute einfangen würde? Zint selbst sagt, als man schon wieder gehen will: „Wir brauchen wieder mehr Überzeugungstäter.“ Warum hat man diesen Satz so lange nicht mehr gehört?
Bis 29. Juli in der Vintage-Galerie, Milchstraße 28, Hamburg
8 Jul 2016
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