taz.de -- Film über die Hamburger Besetzerszene: Schlagstock mit Smiley-Aufkleber

Die Haare waren länger, die Überzeugungen idealistischer. Unser Autor erinnert sich an seine erste Hausbesetzung – und an Krawalle mit der Polizei.
Bild: Ruppige Gefechte: Hier geraten Besetzer und Bullen bei Protesten gegen den Abriss der Hafenstraßen-Häuser aneinander.

HAMBURG taz | 34 Jahre ist es jetzt her. 34 Jahre! Ob ich mich wiedererkennen werde, wenn ich am Freitag im Lichtmess-Kino sitze und den Film „Hospitalstraße 6“ schaue, gedreht in der Nacht vom 27. auf den 28. September 1980, etwa 15 Uhr nachmittags?

Ich hatte damals, weil 34 Jahre jünger, lange Haare, wie so viele. Und ich war Hausbesetzer neben meinem Studium, erste Station: ein leeres Haus am Anfang der Hospitalstraße in Altona Nord mit der Hausnummer sechs. Die Hausbesetzerszene in West-Berlin gab den Takt vor, da wollten wir hin.

Auf dem Plattenteller drehte sich Fehlfarbens „Monarchie und Alltag“ schon zum späten Frühstück, aber hier in Hamburg galt die Parole des damaligen Innensenators, dass kein Haus länger als 24 Stunden besetzt sein würde (Wer war das noch mal? Alfons Pawelczyk war’s). „Hamburger Modell“ nannte sich das – Hamburgs Sozialdemokraten waren mächtig stolz darauf.

Eine gewisse Leichtigkeit

Und so trafen wir uns einen Sommer lang, eine lose und doch verbindliche Gruppe aus Freunden und Bekannten und anderen, die zu dem einen oder anderen wurden oder auch nicht. Haben wir ernsthaft geglaubt, wir würden in die Hospitalstraße 6 einziehen können?

Eher nicht. Alles hatte eine gewisse Leichtigkeit, auch Verspieltes, so wie die Tür im Nu ausgehebelt war und wir uns flugs im Haus verteilten, in dem es feucht und nach Kalk roch. Das Haus hatte ja jahrelang leer gestanden.

Wir machten uns mit den Grundrissen der Wohnungen vertraut, hängten unsere Transparente aus den Fenstern, verknoteten sie ordentlich, schauten zu, wie die ersten, noch nächtlichen Passanten anhielten, nach oben schauten und dann weitergingen.

Nach vielleicht einer halben Stunde kurvte ein erster Streifenwagen vorbei, hielt an und fuhr wieder weg. Bald kam ein zweiter Wagen, der aber parkte und dessen Besatzung rot-weißes Absperrband über die Straße zog. An Schlaf war nicht zu denken, dabei hatten wir – wenn ich es richtig erinnere – jeder Schlafsäcke dabei. Es sollte ja alles echt sein.

Kreisrunde Polizeischilde

Mitten unter uns war ein Filmteam der Medienwerkstatt „Thede“, aus der Thedestraße, also gleich um die Ecke, die irgendjemand von uns kannte. Ich erinnere mich noch, wie Christian Bau immer wieder seine kiloschwere Videokamera schulterte, jemand zweites trug den ebenso schweren Rekorder, und wie Bau aus dem Fenster filmte, was passierte. Dann und wann ging er nach draußen auf die Straße und filmte, wie wir in den Fenstern saßen oder standen und winkten.

Wir schafften die 24 Stunden nicht. Gegen Mittag fuhren die Mannschaftswagen auf. Der Einsatzleiter nahm es achselzuckend zur Kenntnis, dass wir nicht von selbst gehen würden. Die Polizisten setzten sich ihre Helme auf, nahmen sich ihre Schilde, die noch kreisrund waren, und rückten unaufgeregt Meter um Meter vor. Auch das hat das Thede-Team gefilmt.

Kurz diskutierten wir, ob wir uns im Haus verbarrikadieren sollten, aber die Aussicht, schnell ins Treppenhaus und dann in die kleinen Zimmer nach hinten zum Hinterhof hinaus abgedrängt und dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit womöglich verprügelt zu werden, erschien uns wenig verlockend. Also gingen wir nach draußen auf die Straße, hakten uns unter.

Es dauerte in meiner Erinnerung keine halbe Stunde und man hatte uns weggedrückt und weggeschubst und auch weggeschlagen. Kurz vorher entstand noch ein Foto, das damals sehr populär wurde und das noch im Archiv von Günter Zint als Schwarz-Weiß-Abzug liegen müsste.

Leider habe ich es eben nicht bei Google Bilder gefunden, hätte ja sein können, dass es mittlerweile digitalisiert ist: Es zeigt nur das Bein eines Polizisten und daneben seinen herunterbaumelnden rechten Arm und die folgende Hand, die einen Schlagstock hält und mitten auf dem Schlagstock prangt ein gelbes Smiley.

Sehr brutal und lächerlich

Bauarbeiter betraten das Haus, als alles vorbei war. Und inmitten all meiner unklaren Erinnerungen, wo Gesichter und Rufe und Stimmen durcheinander wirbeln, ist ein sehr scharfes Bild erhalten geblieben, wie eine Filmsequenz: Ein etwas dicklicher Bauarbeiter in Latzhose und T-Shirt erscheint im ersten Stock, er beugt sich vor und er zerreißt in Zeitlupe die Bänder, die eines der Transparente halten, als wären die mindestens aus Stahl, was gleichzeitig sehr brutal und sehr lächerlich wirkte.

Mal schauen, ob diese Szene im Film zu sehen sein wird, oder ob es meine ganz private Szene bleiben wird und ob mir dann vielleicht Zweifel kommen, ob ich sie mir vielleicht nicht einfach ausgedacht habe, so schlüssig wie die Szene jetzt beim Schreiben daherkommt.

Und wie das wohl überhaupt sein wird, da zu sitzen und auf die Leinwand zu schauen? Und wenn ich dann irgendwann zu sehen sein sollte, ob das dann noch ich bin? Und vielleicht ist ja jemand von den anderen Leuten mit im Kino, die damals dabei waren und zu denen ich selbstverständlich über die 34 Jahre den Kontakt verloren habe.

Vielleicht aber auch nicht. Dann werde ich nach dem Film einfach aufstehen und gehen und mir auf dem Heimweg gespannt dabei zusehen, wie sich aus den Bildern, die ich eben gesehen habe, und aus allem, was ich dazu gedacht habe – was beides nachwirken wird – etwas Neues formt; 34 Jahre, das ist ja auch verdammt lange her.

„Hospitalstraße Nr. 6“, 45 Minuten: heute, 20 Uhr, , Hamburg. Eintritt 4,-/5,- Euro

28 Nov 2014

AUTOREN

Frank Keil

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