taz.de -- EMtaz: Gruppe B – ENG-RUS: Rennen, rennen, warten
Die Engländer hätten wohl gerne nach 80 Minuten aufgehört zu spielen. Wäre besser gewesen, denn so gewinnen sie nicht gegen Russland.
Die Startbedingungen: Die Engländer gelten seit der überragenden Qualifikation urplötzlich als spielstarke Sportkameraden. Jamie Vardy, der Märchenprinz vom Meister Leicester City, darf nicht stürmen, der alte Wayne Rooney darf mittun. Es sind Renner in der englischen Mannschaft und Verteidiger, denen viele nicht viel zutrauen. Bei den Russen darf der Schalker Neurusse Roman Neustädter von Beginn an spielen, was vielleicht schon etwas über die Qualität der Mannschaft sagt. Aber vielleicht ist das auch ungerecht. Wer weiß schon etwas über das Niveau der russischen Liga, in der die anderen zehn russischen Starter arbeiten.
Das Vorurteil: Die Russen rennen, rennen, rennen (Doping). Die Briten rennen, rennen, rennen (Kick and Rush).
Das Spiel: Den Engländern gelingt es immer wieder Tempo ins Spiel zu bringen, obwohl sich die Russen mit acht Mann um ihren Strafraum postiert haben. Alli und Lallana triezen die russische Verteidigung mit mutigen Dribblings und Wayne Rooney gibt auf der Acht den Stabilisator im schnellen Angriff Englands. Die Russen versuchen lange gar nicht erst mitzuspielen. Ein Fehlpass folgt auf den anderen und wahrscheinlich wundern sie sich selbst, dass es zur Pause 0:0 steht. Es ist ein Graus, dem russischen Team zuzuschauen. Ist das so beabsichtigt? Den Engländern beim Chancenvergeben zuzusehen, so lange bis sie demoralisiert sind? Tatsächlich gewinnen die Russen kurz nach der Pause ihre ersten Zweikämpfe. Das reicht, um den Engländern gute 20 Minuten die Spielfreude auszutreiben. Rooneys Schuss wird von Russlands Faustabwehrkönig Igor Akinfejew an die Latte abgelenkt. Gegen den Freistoß von Eric Dier 15 Minuten vor Schluss später unternimmt er nichts. 1:0 für England. Danach fällt den Russen wieder gar nichts ein. Und die Engländer hätten wahrscheinlich schon nach 80 Minuten gerne zu spielen aufgehört. Sie werden immer nachlässiger. Kein Wunder, dass in der Nachspielzeit tatsächlich noch der Ausgleich für Russland fällt. Hatten die Russen zuvor schon ein Kopfballduell im gegnerischen Strafraum gewonnen? Nein. Ergebnis: England 1, Russland 1.
Der entscheidende Moment: Minute 88. Eine Rauchbombe wird im russischen Block gezündet, später noch ein Böller. Dass es sowas gibt in Zeiten des Ausnahmezustands!
Der Spieler des Spiels: Wayne Rooney – Englands Papa Fußball beherrscht das Fädenziehen im Mittelfeld.
Die Pfeife des Spiels: Sergej Ignaschewitsch – keiner nimmt sich so viel Zeit für einen gepflegten Fehlpass.
Held: Wassili Beresuzki, der Mannschaftskapitän läuft den jungen Engländern im Abwehrzentrum lange hinterher und gewinnt dann das entscheidende Kopfballduell vor dem 1:1.
Das Urteil: Beide Mannschaften spielen besser, als sie dies bei der WM vor zwei Jahren getan haben. England kann das Spiel schnell machen, Russland nicht. Die Mannschaft mit der größeren Lust am Kombinationsspiel hätte gewinnen können. Dass sie es nicht getan hat, ist vielleicht – typisch für England.
11 Jun 2016
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