taz.de -- Kommentar Katholikentag: Keine Schäfchenherde mehr

In Leipzig zeigte sich eine moderne Kirche, die sich klar gegenüber der AfD positioniert. Auch deshalb muss sie wieder ernstgenommen werden.
Bild: Direkter Draht nach oben: Die katholische Basis zeigte sich in Leipzig emanzipiert von ihren Oberhirten

Wenn es um die Bilanzen von Evangelischen Kirchentagen oder von Katholikentagen geht, wird die Sache gern etwas mystisch. Da wird eine Stimmung beschrieben, deren Stimmigkeit aber kaum nachzuweisen ist – gute, schlechte, langweilige, aufgehitzte, trostlose … Bei meist über 1.000 Veranstaltungen pro Christentreffen ist das schwer zu belegen.

Dennoch kann man sagen: Der am Sonntagmorgen in Leipzig zu Ende gegangene Katholikentag war ein gelungener. Das lag auch am Wetter, klar, vor allem aber daran, dass jene elende Konfrontation im Großen und Ganzen beendet zu sein scheint, die in den vergangenen Jahren so häufig die Katholikentage bestimmt hatte: hier die engagiert-liberalen Laien, die das große Treffen ja regelmäßig organisieren – dort die bremsend-konservativen Bischöfe, über die man sich ärgert.

Auch dank Papst Franziskus und seiner neuen, barmherzigeren und offeneren Kirchenpolitik fühlt sich die katholische Basis nicht mehr abgestempelt als blökende Herde von Schafen, die brav ihrem Oberhirten hinterher trotten sollen. Nein, sie wird wieder ernst genommen, wirkt selbstbewusster. Und eine überraschende Folge kann sein, dass die klassischen Podien nicht mehr so attraktiv zu sein scheinen. Man muss sich von oben nicht mehr alles erklären lassen.

Hinzu kam: Der Katholikentag hatte ein tragendes Thema, nämlich die Flüchtlingskrise, und einen gemeinsamen Gegner, den überall in Europa um sich greifenden Rechtspopulismus, [1][namentlich die hiesige AfD], die die Kirchen hierzulande und ihr Flüchtlingsengagement mehrfach zynisch und unflätig beschimpfte. Erst am Sonntag, zum Ausklang des Katholikentages, hat AfD-Chefin Petry den Kirchen erneut vorgeworfen, mit der Flüchtlingshilfe eine moderne Form des Ablasshandels zu betreiben.

Die Empörung darüber war, ebenso wie die Befürwortung des Engagements für Flüchtlinge, in Leipzig deutlicher Konsens. Nirgends, auch nicht aus dem Publikum, war anderes zu hören. Damit hat sich in Leipzig erneut bewahrheitet, was der große (evangelische) Märtyrer und Theologe Dietrich Bonhoeffer schon vor mehr als 70 Jahren sagte: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“

29 May 2016

LINKS

[1] /Katholiken-und-AfD/!5308142/

AUTOREN

Philipp Gessler

TAGS

Kirchentag 2023
Katholikentag
Katholische Kirche
Papst Franziskus
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Völkermord Armenien
Lesestück Recherche und Reportage
Kirchentag 2023
Katholikentag
katholisch

ARTIKEL ZUM THEMA

Flüchtlinge im Regensburger Dom: Der Herr hält seine Hand drüber

Über drei Dutzend Flüchtlinge aus dem Balkan finden weiterhin Schutz in kirchlichen Gebäuden. Sie ziehen aus dem Dom um, weil dort die Versorgung schwierig wird.

Papst zum Umgang mit Homosexuellen: Kirche soll sich entschuldigen

Papst Franziskus fordert seine Institution zum Handeln auf: Er verlangt eine Entschuldigung bei Homosexuellen, Armen, Frauen und Ausgebeuteten.

Papst Franziskus in Armenien: Christliche PR in Eriwan

Der Papst hatte das Massaker an den Armeniern schon im vergangenen Jahr als Genozid bezeichnet. Nun besuchte er die Gedenkstätte in Eriwan.

Katholiken und AfD: Das Tischtuch ist endgültig zerrissen

Die rechtspopulistische Partei wurde nicht zum Leipziger Gläubigentreffen eingeladen. Jetzt eskaliert der Streit mit der Katholischen Kirche.

Katholikentag in Leipzig: Mauer aus Pragmatismus

Wo endet Gastfreundschaft? Innenminister de Maizière diskutiert mit Menschenrechtsexperten. Der CDU-Mann wird einmal ein bisschen weich.

Landesschülerrat gegen Unterrichtsausfall: Katholikentag verhindert Bildung

Gegen den am Mittwoch beginnenden Katholikentag gibt es Protest. Schüler beklagen, dass ihnen Unterricht entgeht, weil Katholiken in den Schulen übernachten.

Kommentar Eröffnung Katholikentag: Säkular gelesene Leviten

In Leipzig beginnt der Katholikentag. Was so fromm scheint, ist ein Akt der Rechristianisierung – und das auch noch mit Steuergeld gefördert.