taz.de -- Zeitzeuge über Obama in Hiroshima: „Zorn bringt uns nicht weiter“

Okihiro Terao hat die Verstrahlung von Hiroshima überlebt. Das Stigma haftete ihm noch lange an. Jetzt ist er froh darüber, dass Obama kommt.
Bild: „Wir hatten noch nie etwas von einer Atombombe gehört“, sagt Okihiro Terao

Hiroshima taz | „Hören Sie die Spatzen zwitschern?“, fragt Okihiro Terao und zeigt auf die Vögel, die um den Springbrunnen herumfliegen. Für ihn klinge das wie peace, peace, peace. „Hiroshima lebt ein ruhiges Leben“, sagt der 75-Jährige und blickt auf den sanft fließenden Motoyasu-Fluss vor dem Gembaku Dome, der Atombombenkuppel, wie die Menschen von Hiroshima die Ruine nennen. Der Dome ist als einziges Gebäude in einem Radius von zwei Kilometern am 6. August 1945 nicht komplett pulverisiert worden, nachdem die US-Luftwaffe die Atombombe abgeworfen hatte.

„Die Kinder sind gesund und wohlbehütet, die Spatzen zwitschern“, sagt Terao. Er sei dankbar dafür, dass in Japan seit 70 Jahren Frieden herrsche und der Schrecken des Krieges für die meisten Japaner inzwischen eine ferne Erinnerung sei. „Das ist gut“, sagt Terao.

Aber die Ereignisse dürften nicht in Vergessenheit geraten. Und deswegen sei er froh, dass Barack Obama als erster amtierender US-Präsident an diesem Freitag Hiroshima besuchen und vor dem Friedensdenkmal einen Kranz niederlegen wird. „Ich halte viel von Obama“, sagt Terao. Er meine es Ernst mit der nuklearen Abrüstung. „Er macht die Welt ein kleines bisschen besser.“

Okihiro Terao war damals fünf, als er die Atombombe von Hiroshima überlebte. Er ist ein Hibakusha, wie die Überlebenden in Japan bis heute genannt werden. Fast jeden Tag kommt er an den Springbrunnen im Friedenspark, klappt einen Tisch auf, stellt darauf seine zwei selbst angefertigten Modelle aus buntem Glas.

Eine komplett ausgelöschte Innenstadt

Das eine Modell zeigt die Ruine, das andere das Gebäude, als es noch der Prunkbau der Industrie- und Handelskammer war. Letzteres hat Terao auf einem Foto in die heutige Silhouette der Innenstadt montiert. „So würde Hiroshima aussehen, wenn es den Krieg nicht gegeben hätte.“

Hiroshima war zu Kriegszeiten Hauptquartier von mehreren Einheiten. Über die ganze Stadt verteilt gab es Dutzende an Kasernen. Nach dem Tod des Vaters im Sommer 1945 beschloss die Mutter wegen der ständigen Bombardierungen durch die Amerikaner mit ihren drei Söhnen zu ihrer Schwester aufs Land zu ziehen, rund vier Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Zwei Wochen später brach seine Mutter frühmorgens zum Einkaufen in die Innenstadt auf. Terao und seine beiden Brüder spielten draußen im Garten, als sie plötzlich einen grellen Blitz sahen. Einige Sekunden später riss eine gewaltige Druckwelle sie zu Boden. Niemand wusste, was passiert war. „Wir hatten noch nie etwas von einer Atombombe gehört.“

Terao, seine Brüder und seine Tante machten sich auf die Suche nach der Mutter. Was sie in den nächsten Stunden sehen mussten, weiß Terao auch 71 Jahre später kaum in Worte zu fassen. Zeitungsbilder von damals zeigen eine komplett ausgelöschte Innenstadt. Überall lagen verkohlte Leichen, erzählt er. Schwerverletzte mit tiefen Brandwunden flohen aus der Stadt. „Das sind nur Geister“, versuchte die Tante zu beschwichtigen. Sie weinte. „Ich glaubte das damals“, sagt Terao. Dann fanden sie seine Mutter. Sie hatte überlebt. Wären sie nicht aus der Stadt gezogen, sagt Terao, wären auch sie „wie 80.000 andere binnen weniger Sekunden pulverisiert worden“.

In der Schule wollte niemand mit ihm spielen

Die Nachkriegsjahre verbrachte Terao mit seiner Familie in einem anderen Teil von Japan. Willkommen waren sie nicht. „Die Leute vermieden es, uns zu berühren“, erinnert sich Terao, aus Angst, dass Strahlung ansteckend sein könnte. In der Schule wollte niemand mit ihm spielen.

Einmal kam er weinend nach Hause und sagte zu seiner Mutter: „Ich wünschte, der Feuerball hätte auch mich verschluckt.“ Sie weinte. Tags darauf schwor sie ihre Söhne darauf ein, niemandem ein Sterbenswort über ihre Herkunft zu sagen. „Niemand will ein Atomopfer zum Mann“, warnte sie. „Wir dachten ns gar keine komplizierte Legende aus, sondern sprachen gar nicht mehr darüber“, sagt Terao.

Für das Schweigen musste die Mutter zwanzig Jahre später einen hohen Preis bezahlen. 1969 erkrankte sie an Krebs. Die Ärzte operierten sie zweimal. Als anerkannte Atombombenopfer hätte die Familie kostenlose medizinische Versorgung erhalten. Aber weil sie schwieg, blieb die staatliche Unterstützung für sie aus. Die Mutter starb.

Erst Jahre nach ihrem Tod setzten sich die Brüder zusammen und beschlossen, sich als Hiroshima-Opfer anerkennen zu lassen.

Eine lange Narbe

Teraos älterer Bruder starb ebenfalls an Krebs, der Jüngere musste sich mehrfach an der Schilddrüse operieren lassen.

Terao zeigt auf eine lange Narbe, die sich vom Hinterkopf bis zu seiner Schulter zieht. 2001 erhielt er die Diagnose, dass sich Bindegewebe in Nacken und Schultern zu Knochen verwandelt haben. Acht Stunden lang schnitten Chirurgen an ihm, um die knöchernen Wucherungen zu entfernen. Heilbar ist die Krankheit nicht.

Auch heute tun sich viele japanischen Funktionsträger schwer im Umgang mit Überlebenden. Zu Obamas Besuch am Freitag haben die Stadtoberen Terao nicht eingeladen. Im Gegenteil: Er muss seinen Stand abbauen.

Ob er Groll auf die Amerikaner hege? „Die Waffe war unmenschlich und grausam“, antwortet Terao. „Doch Zorn bringt uns nicht weiter.“ Er erwartet nicht einmal eine Entschuldigung. „Präsident Obama stammt aus Hawaii, dort liegt auch Pearl Harbour. Nicht ein politischer Repräsentant aus Japan hat es jemals nach Hawaii geschafft, um sich für den Angriff zu entschuldigen“, kritisiert er die Funktionsträger seines Landes. „Schon der Besuch eines US-Präsidenten bedeutet für uns Überlebende sehr viel.“

26 May 2016

AUTOREN

Felix Lee

TAGS

Hiroshima
Barack Obama
Atomwaffen
Hawaii
Barack Obama
Barack Obama
Hiroshima
G7
Hiroshima
Atombombe
Hiroshima

ARTIKEL ZUM THEMA

75 Jahre nach Angriff auf Oahu: Shinzo Abe kommt nach Pearl Harbor

Barack Obama besuchte als erster amerikanischer Präsident Hiroshima. Ein Gegenbesuch wurde seitdem erwartet. Jetzt ist es bald soweit.

Kommentar Obamas Asien-Politik: Machtspiel in Fernost

Obamas Asienreise spiegelt sein Ziel der letzten Jahre wider: Die USA sollen dominierende Macht in Fernost bleiben. Ein Plan, der nicht aufgeht.

US-Präsident Obama in Hiroshima: „Eine neue Katastrophe verhindern“

An der Gedenkstätte für die Opfer der US-Atombombe bekräftigt Obama das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen. Und sagt, dass er es nicht mehr erleben wird.

Obama in Hiroshima: Widerstreitende Gefühle

Japanische Opfergruppen debattieren: Müssen sich die USA für die Atombomben-Abwürfe entschuldigen, wenn Japan doch der Aggressor war?

Ergebnisse des G7-Gipfels in Japan: Über drei Milliarden für den Irak

Hilfe für den Irak, Druck auf Russland, Ärger mit China: Die G7-Chefs scheuen sich nicht vor Konflikten. Die Kanzlerin verbucht das Treffen in Japan als Erfolg.

Kommentar Obamas Besuch in Hiroshima: Ein Amerikaner entschuldigt sich nicht

Obamas Trip nach Hiroshima ist gut. Doch seinem 2009 formulierten Ziel einer atomwaffenfreien Welt ist er kein Stück nähergekommen.

Abwurf der Atombombe 1945: Nagasaki gedenkt seiner Opfer

Die Überlebenden des Nuklear-Angriffs auf Nagasaki 1945 fordern eine Welt ohne Atomwaffen. Japans Premier versichert, sein Land bleibe atomwaffenfrei.

Opfer der Hiroshima-Bombe: Das Friedensboot der Überlebenden

Hiroe Kamada war drei Jahre alt, als die Bombe fiel, Takako Kotani sechs. Heute kämpfen sie gegen die Atomkraft.