taz.de -- ZDF-Doku „Die letzten Gigolos“: Küss die Hand, schöne Frau

„Die letzten Gigolos“ begleitet zwei „Gentleman Hosts“ auf dem Traumschiff. Dabei geht es weniger um die Eintänzer als um das Alleinsein im Alter.
Bild: Ein Gigolo braucht auch ein bisschen Schönheitspflege

Der letzte Playboy war gemäß einem Buchtitel von Andreas Zielcke der 1965 standesgemäß nach einem Sieg seines Poloteams in seinem Ferrari tödlich verunglückte Porfirio Rubirosa. Der Gigolo, der arme Verwandte des Playboys, hat, zumindest popkulturell, noch bis 1980 durchgehalten, als Richard Gere ihm als „American Gigolo“ einen letzten Höhepunkt bescherte. Wen der deutsche Filmtitel mit wohlkalkulierter Anzüglichkeit einen „Mann für gewisse Stunden“ nennt, beschreibt der damals noch zu Rate gezogene Brockhaus in all seiner lexikalischen Kälte: „Gigolo [frz.] der, abwertend: geckenhafter, meist von Frauen ausgehaltener jüngerer Mann.“ Wie gesagt, das war 1980, und der Gigolo hat heute genauso ausgedient wie der Brockhaus.

Oder sollte es doch noch ein paar wenige Exemplare geben? Keine Frage, Filmemacher Stephan Bergmann hat den „American Gigolo“ sorgfältig studiert. Besonders jene Szene, die heute als Startschuss in die hedonistischen 1980er Jahre gelesen wird, in der Richard Gere all seine Armani-Anzüge zusammen mit den farblich abgestimmten Hemden und Krawatten auf dem Bett ausbreitet. Genauso fängt Bergmann seinen Dokumentarfilm über „Die letzten Gigolos“ an. Da legt Peter nacheinander seine 15 Schlipse aufs Bett und erklärt sie.

Von: „Himbeer, dreist und jung“. Bis: „Dunkelblau mit Grün, zurückhaltend, vornehm, unauffällig. Dazu die passenden Tücher, die jeweils mit der Krawatte abgestimmt sind.“ Dann erst sieht der Zuschauer den ganzen Peter. Und auch wenn 40 das neue 30 oder sogar 20 ist und Peter sich, wie man so sagt, wirklich gut gehalten hat: Nein, als jüngeren Mann kann man den 74-Jährigen nicht mehr bezeichnen. Er lässt sich auch nicht aushalten, ein Geck ist er gewiss nicht.

Gut, dass der Brockhaus noch eine weitere Bedeutung des Wortes Gigolo kennt: „Früher Bez. für Eintänzer, ein in Tanzlokalen als Tanzpartner angestellter Mann.“ Das ist es, was Peter ist, was hier auf einem Kreuzfahrtschiff aber vermutlich wegen der Verwechslungsgefahr „Gentleman Host“ heißt. Wovon man noch viel weniger gedacht hätte, dass es das noch gibt. Weshalb es nicht unwahrscheinlich ist, dass er und Heinz tatsächlich die letzten ihrer Art sind, wie im Filmtitel versprochen.

„Darf ich Sie bitten, gnädige Frau?“, lautet der Spruch, den sie Abend für Abend viele Male an die Frau bringen. Denn das ist ihr Job und der Frauenüberschuss ist groß – auf dem „Traumschiff“ MS Deutschland. An das, so sieht es aus, ein Inneneinrichter zuletzt Hand angelegt hat, als Peter ein jüngerer Mann war. Aber bestimmt gehört das zum Konzept und ist, genau wie Peter und Heinz und ihr Lebensalter, Teil des Erfolgsrezepts dieser Art von Kreuzfahrt.

Niemand wird vorgeführt

Tatsächlich trifft man in diesem Film, das Personal ausgenommen, auf keinen Menschen unter 65. Die Frauen sind, was man in Peters Generation offenbar „Wittfrauen“ nennt. Altersarmut ist für sie kein Thema: „Ich war ein Leben lang Unternehmer, und als Unternehmer hat einen das Leben geprägt“, sagt eine Dame zum Beispiel. Oder: „Die jungen Frauen glauben ja, wenn se ’ne Pizza in ’en Ofen schieben, ha’m se gekocht.“ Es ist da auch schon mal von Sekundärtugenden à la Haltung und Selbstdisziplin die Rede.

Stephan Bergmanns Verdienst und die große Qualität seines Films ist, dass er seine ProtagonistInnen solchen Stuss erzählen lässt – ohne sie dabei vorzuführen. Das wäre so naheliegend wie einfach und billig gewesen. Stattdessen werden in den neunzig Minuten nach und nach die Menschen unter den – meist geschwätzigen – Oberflächen sichtbar, es wird fast beiläufig von den Härten des Lebens erzählt, von Schicksalsschlägen, gegen die auch gute Jobs und viel Geld nicht helfen.

Unter der Oberfläche ist auch „Die letzten Gigolos“ anders als gedacht: Es geht nämlich in dem Film viel mehr um das Alleinsein im Alter und über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, etwas dagegen zu tun. Peter: „Man ist ja geschmeichelt, dass man noch gefragt ist. Aber wenn man dann näher kommt, dann kannst du kein Bild umhängen in der Wohnung, weil, das hat der Mann … Oder du kannst dich nicht in den Sessel setzen, weil dann der Hans da gesessen hat.“

Peters Einsichten sind so demütig wie melancholisch wie fatalistisch – wie optimistisch. Und Richard Gere ist mittlerweile ja auch schon 66.

23 May 2016

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Jens Müller

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