taz.de -- Prokurdische TV-Station in der Türkei: Chefredakteur festgenommen

„Propaganda für eine Terrorvereinigung“: So lautet der Vorwurf gegen Hamza Aktan. Begründet werden die Ermittlungen mit Tweets des Journalisten.
Bild: Der Präsident hat die Presse zum Fressen gern

Istanbul afp | In der Türkei ist der Chefredakteur eines pro-kurdischen Fernsehsenders wegen der Veröffentlichung von Kurznachrichten auf seinem Twitter-Konto vorübergehend festgenommen worden. Hamza Aktan sei von der Polizei verhört und nach zwölf Stunden unter Auflagen wieder frei gelassen worden, teilte sein Sender IMC TV am Samstagabend mit. Ihm drohe eine Anklage wegen „Propaganda für eine Terrorvereinigung“.

Maskierte und bewaffnete Beamte hatten den Journalisten am Morgen in seiner Wohnung in Istanbul festgenommen, wie der Sender mitteilte. Die Ermittler hätten Aktan vor allem zu Tweets befragt, die er 2015 veröffentlicht habe. Sie hätten wissen wollen, warum er Äußerungen von zwei prominenten pro-kurdischen Kommentatoren weitergeleitet habe.

Aktan muss sich nach seiner Entlassung regelmäßig bei der Polizei zu melden, wie der Sender mitteilte. Gegen ihn werde weiter ermittelt. Aktan selbst wertete diese Auflage als „Form der Bestrafung“. Sein Sender zitierte ihn mit den Worten: „Das ist eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit.“

Der renommierte Journalist hat für verschiedene Medien in der Türkei gearbeitet und ein Buch mit dem Titel „Der kurdische Bürger“ veröffentlicht. IMC TV war 2011 gegründet worden, der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf kurdischen, Frauen- und Umweltthemen.

Verstärkte Beobachtung

Im Februar hatte der Sender mitgeteilt, der größte türkische Satellitenbetreiber habe ihn wegen Verbreitung „terroristischer Propaganda“ abgeklemmt. Seitdem verbreitet er sein Programm nur noch im Internet. IMC TV gilt als einziger regierungskritischer pro-kurdischer Sender.

Pro-kurdische Medien stehen in der Türkei verstärkt unter staatlicher Beobachtung, weil sich türkische Soldaten und Anhänger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit dem vergangenen Sommer wieder Kämpfe in Südostanatolien liefern.

Der Umgang der türkischen Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan mit der Presse- und Meinungsfreiheit und mit ausländischen Journalisten gab in den vergangenen Monaten immer wieder Anlass zur Kritik. Eine ganze Reihe türkischer Journalisten wurde festgenommen und teils vor Gericht gestellt. Ausländische Journalisten, darunter auch aus Deutschland, durften nicht einreisen oder ihre Presseerlaubnis für die Türkei wurde nicht verlängert.

1 May 2016

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