taz.de -- Kommentar Flüchtlingspolitik in Europa: Auge um Auge, Zaun um Zaun
Die Länder der Balkanroute bereiten sich auf die Schließung der Grenzen vor. Jede Regung in Berlin kann zum Anlass dafür werden.
Eine Politik der Angst bestimmt Europa von Nord nach Süd. Schon die Andeutung einer möglichen Verschärfung der deutschen Flüchtlingspolitik hat das Potenzial, eine politische Panik in den Ländern der Balkanroute auszulösen. Bis zu 3.000 Menschen ziehen täglich an den Stationen zwischen Griechenland und Bayern vorbei.
Würden Österreich oder Deutschland ihre Grenzen wirklich schließen, könnten in kürzester Zeit Zehntausende auf engstem Raum stranden. Gerade die Länder des früheren Jugoslawien scheinen in Stacheldrahtsperren die einzige Garantie zu sehen, nicht plötzlich der Endpunkt des Flüchtlingszugs zu werden.
Wie könnten diese auch auf eine europäische Lösung oder die Kooperation der nördlichen Nachbarn vertrauen? Dass Angela Merkel zum Beispiel wiederholt betont, dass es keine Obergrenzen geben dürfe, lässt sich mit wenig Fantasie eben auch als das genaue Gegenteil lesen. Ihr Willkommensruf für die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge im vergangenen Sommer kam für die Beteiligten schließlich auch aus heiterem Himmel. Wer würde schon versichern wollen, dass die politisch so wendige Bundeskanzlerin nicht über Nacht die Türen wieder zuschlägt?
Jedes Wort aus Wien, Berlin oder Kreuth wird deshalb aufmerksam in Ljubljana, Zagreb und Skopje wahrgenommen. Beginnt Österreich mit dem Bau von gut drei Kilometern Grenzbefestigung vor dem slowenischen Šentilj, reagiert Slowenien mit über hundert Kilometern Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Kroatien. Weist Deutschland 200 aus Österreich kommende Flüchtlinge ab, die sich auf dem Weg nach Skandinavien befinden, antworten die Balkanstaaten mit einer Einreisesperre für alle, die nicht Österreich oder Deutschland als Ziel angeben.
Und verkündet Österreich [1][einen „Richtwert“] für das Maximum an Asylbewerbern, sperrt Mazedonien die Grenze zu Griechenland 24 Stunden lang gleich komplett für Flüchtlinge. Dass diese dort und an jeder Grenze auf ihrem Weg bei Minusgraden der Willkür eines immer weniger vorhersehbaren Grenzregimes ausgesetzt sind, illustriert das Fehlen jeglicher politischer Verbindlichkeit auf europäischer Ebene. Noch dazu ist es ein unerträgliches und unmenschliches Spiel mit der Gesundheit und dem Leben der Flüchtlinge.
21 Jan 2016
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Österreich beschwert sich über Griechenland und verlangt eine Sicherung der EU-Außengrenze auf der Balkanroute. Notfalls mit Soldaten.
Zwischenzeitlich war die Balkanroute dicht: Doch nun ist die Grenze zu Mazedonien wieder passierbar. Hunderte Flüchtlinge harrten auf griechischer Seite aus.
Immer mehr Flüchtlinge dürfen nicht nach Deutschland einreisen. Die EU-Innenminister beraten am Montag über den Umgang mit Grenzkontrollen.
Wegen Streiks fuhren in Griechenland mehrere Tage keine Fähren. Am Samstag transportierten sie wieder viele Flüchtlinge auf das Festland.
Seit den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht steht der Pressekodex zur Disposition. Forderungen werden laut, die Herkunft von Straftätern zu nennen.
Unter den Flüchtlingen an der mazedonischen Grenze wachsen Angst und Verzweiflung. Sie wissen nicht, ob und wann es weitergeht.
Die Situation auf der sogenannten Balkanroute kann sich jeden Tag ändern. Doch wie verläuft die Reise von Griechenland nach Deutschland bisher?
Flüchtlinge fänden ihre Wege, sagt Nikos Kotzias. Er fordert allerdings eine Visumspflicht für Marokkaner und Algerier in der Türkei.
Zwei Tage mussten Flüchtlinge an der geschlossenen mazedonischen Grenze warten. Jetzt werden sie weitergeschickt, mit improvisierten Papieren.
Es ist unwahrscheinlich, dass Österreich seine Grenzen schließt. Doch der Beschluss setzt Merkel unter Druck. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Merkel-Kritiker sehen die Kanzlerin jetzt unter Zugzwang. Die wies die Festlegung einer Obergrenze erneut zurück. Seehofer zeigte sich enttäuscht.
Die Pläne der SPÖ-Regierung stehen für ein Europa, das an seinen nationalen Egoismen scheitert. Sie setzen auch Angela Merkel unter Druck.
Die österreichische Regierung beschließt eine Obergrenze an Flüchtlingen. An der Grenze zu Slowenien werden die Kontrollen verschärft.