taz.de -- Demos für Oury Jalloh: „Unklarheiten noch und nöcher“

Vor elf Jahren kam Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben. In verschiedenen Städten gibt es dazu am Donnerstag Demonstrationen.
Bild: Gedenken an Oury Jalloh: Hier am 7. Januar 2015 in Dessau

BERLIN taz | Mit Demonstrationen in verschiedenen Städten wollen Aktivistinnen und Aktivisten am Donnerstag an den Tod von Oury Jalloh erinnern. Anti-Rassismus-Initiativen wollen dazu heute etwa in Dessau, Münster und Köln auf die Straße gehen.

Vor elf Jahren, am 7. Januar 2005, war der damals 36-jährige Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben gekommen – er war in der Zelle unter Aufsicht von Beamten verbrannt. Seitdem bestehen erhebliche Zweifel an der Darstellung der verantwortlichen Polizei, die von dem Brand in der Zelle erst sehr spät etwas mitbekommen haben will. Ein zuständiger Polizist hatte zuvor Alarmsignale wiederholt unterdrückt.

Zudem bestehen grundsätzliche Zweifel, ob und wie Jalloh sich in der Zelle selbst hätte entzünden können. So war Jalloh etwa an beiden Händen auf einer Brandschutzmatratze gefesselt gewesen. Auch die Dessauer Justiz war in dem Verfahren um den Tod Jallohs massiv in die Kritik geraten. Die Aufarbeitung des Feuertodes war von Beginn an begleitet von mysteriösen Umständen. So war etwa mit dem Tatort äußerst schlampig umgegangen worden. Kritiker vermuten Manipulationen.

Ein Initiativkreis, der die These vertritt, dass Jalloh von den Polizisten ermordet wurde, kämpft seither für entsprechende Verurteilungen. Zwar hatte das Landgericht Magdeburg im Dezember 2012 den damaligen Dienstgruppenleiter Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt – den AktivistInnen geht das aber nicht weit genug.

Sie sahen den Prozess als Farce an und fordern ein härteres Durchgreifen der Justiz. Über Spendensammlungen gelang es ihnen immer wieder, eigene Sachverständige heranzuziehen. Zuletzt hatten sie erneut ein alternatives Brandgutachten vorgelegt, das zu dem Schluss kam, Jalloh könne sich kaum selbst entzündet haben.

Widersprüchliche Einschätzungen

Diese Kritik war nicht neu, sondern schon im Prozess gegen Andreas S. immer wieder formuliert worden. Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau, die in dem Verfahren eine äußerst unglückliche Figur machte, ließ sich darauf während des Verfahrens allerdings nicht ein. Erst nach Abschluss des inzwischen rechtsgültigen Verfahrens gegen Andreas S. eröffnete die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau dann im Oktober 2013 auf öffentlichen Druck hin ein neues Todesermittlungsverfahren, das bis heute läuft.

Sprecher Folker Bittmann sagte der taz am Donnerstag: „Wir haben hier Unklarheiten noch und nöcher.“ Weiter sagte Bittmann: „Wir haben derzeit keine Hypothese. Wir gehen nur den Unklarheiten nach, die wir gefunden haben und schauen, ob sich neue Ermittlungsansätze ergeben.“

Konkret gibt es derzeit noch widersprüchliche Einschätzungen von Brandgutachtern. So weist etwa ein Gutachten darauf hin, dass in der Todeszelle keine Rückstände von Brandbeschleunigern gefunden wurden, was ein Indiz für einen Mord wäre. Andere Gutachter weisen darauf hin, dass gewisse Brandbeschleuniger rückstandsfrei verpuffen. Diese unterschiedlichen Perspektiven sollen nun beispielsweise noch einmal mit rechtsmedizinischen Erkenntnissen abgeglichen werden, sagte die Staatsanwaltschaft.

Die Demonstrationen zum Gedenken an Oury Jalloh verlaufen daher traditionsgemäß angespannt. 2012 hatte es größere Auseinandersetzungen gegeben, nachdem Polizisten massiv gegen Demonstranten vorgegangen waren, weil diese Transparente trugen mit der Aufschrift: „Oury Jalloh, das war Mord“. Die Polizei sah dies nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und ging gegen die Jalloh-Unterstützer vor.

7 Jan 2016

AUTOREN

Martin Kaul

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
Oury Jalloh
Dessau
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Polizei
Schwerpunkt Rassismus
Hafenstraße
Autonome Szene
Köln
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Oury Jalloh
Schwerpunkt Rassismus

ARTIKEL ZUM THEMA

Neues Brandgutachten zu Oury Jalloh: Beharrlichkeit zahlt sich aus

Die Staatsanwaltschaft Dessau will den Brand simulieren lassen, der 2005 Oury Jalloh in einer Polizeizelle tötete. Zu verdanken ist das Aktivisten.

Neuer Brandversuch in Auftrag gegeben: Fall Oury Jalloh wird untersucht

Ein Schweizer Sachverständiger stellt den Zellenbrand nach, bei dem der Asylbewerber Jalloh starb. Auftraggeber ist die Staatsanwaltschaft.

Kommentar Mord in Dessau: Nichts gelernt

Eine junge Frau aus China wird ermordet und die öffentliche Aufregung bleibt aus. Dabei deutet alles auf einen handfesten Skandal hin.

Kommentar Suizid eines mutmaßlichen Dealers: Tödliche Politik

In einem Hamburger Untersuchungsgefängnis hat sich ein Geflüchteter das Leben genommen. Er ist ein weiteres Opfer rassistischer Strukturen und Repressionen.

Tod im Hamburger Untersuchungsgefängnis: Suizid in U-Haft wirft Fragen auf

Ein mutmaßlicher Kleindealer hat sich in Haft das Leben genommen. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall erledigt, nicht aber für die Hinterbliebenen.

Anschlag auf Gewerkschaft der Polizei: Rache für Oury Jalloh

Autonome attackieren Geschäftsstelle der Polizeigewerkschaft in Bremen mit Steinen - wegen eines Anschlages 2005 in Dessau.

Abschiebepolitik nach Köln: Einige „leider rasch kriminell“

Die Koalition diskutiert nach den Kölner Übergriffen über eine härtere Abschiebepolitik - obwohl die Fakten weiter unklar sind.

Feuertod von Oury Jalloh: Mord doch möglich

Zehn Jahre nach dem Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh gibt es neue Zweifel an der Selbstmordthese. Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft steht aus.

Vor zehn Jahren starb Oury Jalloh: Anklage wegen Mordes gefordert

Die Staatsanwaltschaft Dessau hat wegen des Todes von Oury Jalloh ein neues Ermittlungsverfahren aufgenommen. Aber ist sie dafür auch geeignet?

Nach dem BGH-Urteil zum Fall Jalloh: Die Akte ist noch nicht geschlossen

Der Bundesgerichtshof hat zwar ein früheres Urteil gegen den Dessauer Polizisten bestätigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt dennoch weiter zur Brandursache in der Zelle.

Feuertod von Oury Jalloh: Richter weisen Revision ab

2005 verbrannte Oury Jalloh in seiner Zelle. Ein Gericht verurteilte einen Polizisten wegen fahrlässiger Tötung. Bei dieser Entscheidung bleibt es, entschied der BGH nun.

„Riesenschlamperei“ im Fall Oury Jalloh: Keine Lust, ins Gesetz zu schauen

Dass Oury Jalloh in der Todesnacht eingesperrt blieb, hätte ein Richter entscheiden müssen. Die Polizisten behaupten, das hätten sie nicht gewusst.