taz.de -- Sicherheitsbranche und Flüchtlinge: Ohne Plan zum Wachschutz

Wegen der Flüchtlinge boomt die Sicherheitsbranche: 10.000 Stellen sind in den letzten Monaten entstanden. Das bringt neue Probleme.
Bild: Lageso in Berlin: gutes Geschäft für private Sicherheitsdienste.

BERLIN taz | Wo Menschen massenhaft abgefertigt werden, kommt es häufig zu Konflikten – oder auch zu Gewalt. Das gilt für die Disko und den Schlussverkauf. Und es gilt auch für Flüchtlingsheime und -erstaufnahmestellen. Um Gewalt zu verhindern, steht deshalb Sicherheitspersonal bereit. Weil in Deutschland immer mehr Einrichtungen für geflüchtete Menschen entstehen, hat die Sicherheitsbranche Konjunktur.

10.000 neue Stellen sind in den letzten zwölf Monaten entstanden, ein Plus von über fünf Prozent. Gleichzeitig kämpft die Branche mit schlechter Presse, denn in den Flüchtlingseinrichtungen tragen Sicherheitsleute auch häufig selbst zur Eskalation bei. Prominent wurde der Fall von Mitarbeitern der Firma Spysec, die vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) beauftragt ist.

Anfang November schlugen Spysec-Leute an der Erstaufnahmestelle in Berlin-Moabit auf zwei Iraker ein, die versucht hatten, über eine Absperrung zu steigen. Ein Handyvideo filmte das. Im Anschluss an den Vorfall antwortete der Berliner Senat auf die Anfrage eines SPD-Abgeordneten, Spysec plane nun Deeskalationstrainings, um das Personal „besser auf die anspruchsvolle Situation am Lageso vorzubereiten“.

Dass Deeskalationstrainings nicht ohnehin zur Grundausbildung der Wachleute dazugehören, ist zumindest verwunderlich. „Derzeit kann jeder in einem 40-stündigen Kurs die Zulassung zum Wachmann bekommen“, erklärt Silke Wollmann vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW).

In den sogenannten Unterrichtungen, die bei den Handelskammern stattfinden, werden angehende Sicherheitsleute nur über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt. Für Schulungen in Deeskalation bleibt keine Zeit, ebenso wenig werden soziale und interkulturelle Kompetenzen vermittelt. „Es ist noch nicht durchgedrungen, dass sich der Diskotürsteher grundlegend vom Wachmann im Flüchtlingsheim unterscheidet“, ärgert sich Wollmann.

Billigere Firmen mit weniger Kompetenz

Wer eine mehrjährige Ausbildung zur Wachfrau oder zum Wachmann durchlaufen hat, kostet bis zu sechs Euro mehr pro Stunde. Bei öffentlichen Ausschreibungen bekommen jedoch meist billigere Firmen mit weniger Kompetenz den Zuschlag. Eine Möglichkeit wäre ein Gütesiegel für Sicherheitsfirmen mit „Flüchtlingsheimkompetenz“. Der BDSW empfiehlt jedoch gesetzliche Bestimmungen darüber, welche Qualifikationen bei Ausschreibungen verlangt werden müssen.

Gesetzliche Klarstellung fordert auch ein Papier, das das Wirtschaftsministerium Ende November nach dem Lageso-Vorfall veröffentlicht hat. Immerhin empfiehlt es für leitende Wachleute in Flüchtlingsunterkünften eine besondere Sachkundeprüfung. Was in dieser Prüfung abgefragt werden soll, ist nicht näher ausgeführt, der Text fordert aber eine „Anhebung des Unterrichtsumfangs von bisher 40 Stunden um einige Stunden“. Offenbar sind keine bahnbrechenden Änderungen geplant.

Kritikern erscheint es unrealistisch, jemandem in „einigen Stunden“ interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln und ihn in gewaltvermeidendem Verhalten zu schulen. Die Flüchtlinge müssen also weiter hoffen, dass die Betreiber von Unterkünften und Erstaufnahmestellen darauf achten, Wachpersonal einzustellen, das für die Arbeit mit ihnen qualifiziert ist.

11 Jan 2016

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Peter Weissenburger

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