taz.de -- Nach Angriff auf Krankenhaus in Kundus: US-Militär gesteht Fehler ein
Zunächst war von einem Kollateralschaden die Rede. Jetzt nennt ein US-General die Attacke „vermeidbar“, die Verantwortlichen habe man suspendiert.
Berlin taz | Der Angriff auf das Krankenhaus der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) im nordafghanischen Kundus sei „ein tragischer, aber vermeidbarer Unfall“ gewesen. Dies erklärte der Befehlshaber des US-Militärs, John Campbell, bei einer Videopressekonferenz in Kabul am Mittwochabend, als er Ergebnisse einer Untersuchung des US-Militärs vorstellte. Bei dem Luftangriff in der damals von den Taliban eroberten Stadt wurden am 3. Oktober 30 MSF-Mitarbeiter und Patienten getötet und 37 verletzt.
Laut Campbell war das Ziel die von den Taliban eroberte Zentrale des afghanischen Geheimdienstes mehrere hundert Meter weiter östlich. Er machte „menschliches Versagen in Kombination mit systematischen und prozeduralen Fehlern“ für den Verstoß gegen Einsatzregeln verantwortlich. Der 3.000 seitige Bericht wurde aber nicht veröffentlicht.
Campbell räumte ein, dass die Leitstelle für den Luftangriff über die Koordinaten des Krankenhauses informiert gewesen sei. Doch habe es technische Probleme bei der Zielerfassung des Flugzeuges gegeben, weshalb die Besatzung das Ziel nach der Beschreibung von afghanischen und amerikanischen Spezialtruppen am Boden fälschlich identifiziert habe. „Müdigkeit und das hohe Tempo der Operationen“ hätten dazu beigetragen. Campbell äußerte sein Bedauern und betonte, US-Militärs griffen nie absichtlich ein Krankenhaus an. Die Verantwortlichen seien suspendiert worden, weitere Schritte würden geprüft.
Den Angriff auf das Krankenhaus hatte das US-Militär zunächst als Kollateralschaden bezeichnet. Afghanische Militärs behaupteten, Talibankämpfer hätten aus dem Gebäude geschossen. Darauf ging Campbell nicht ein. MSF warf den USA Kriegsverbrechen vor und forderte eine unabhängige Untersuchung. US-Präsident Barack Obama entschuldigte sich persönlich bei MSF, doch ließ sich das US-Militär nie in die Karten schauen. Auch jetzt bekam MSF den Bericht nicht, der eigenen Aussagen der Hilfsorganisation etwa über die Angriffsdauer widerspricht.
Der Bericht „wirft mehr Fragen auf als er Antworten gibt,“ sagt Florian Westphal von MSF-Deutschland. Um Krankenhäuser im Kriegsgebiet betreiben zu können, müsse MSF vom US-Militär wissen, ob es das gleiche Verständnis von der Genfer Konvention habe. Doch die habe Campbell nicht erwähnt. „Er bezieht sich stattdessen auf die geheimen Einsatzregeln der US-Armee. Das reicht nicht aus“, fügte Westphal hinzu.
26 Nov 2015
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