taz.de -- Leben in der Giftwolke: Peking grüßt Paris

In Chinas Hauptstadt trauen sich die Menschen kaum noch auf die Straße. Unser Korrespondent sieht trotzdem Licht am Ende des Klimagipfels.
Bild: In die Ferne schauen ist in Peking nicht mehr möglich.

Peking taz | Das Ei. Ich habe es in diesen Tagen überall dabei. Es ist weiß, etwas größer als ein Tennisball und mit einer digitalen Anzeige ausgestattet, die mir an jeder Stelle, wo ich das Ei aufstelle, die Luftverschmutzung anzeigt. Erst vor drei Wochen habe ich mir dieses Gadget zugelegt. In der Küche zeigt es mir in diesen Tagen einen Feinstaubwert (PM 2,5) von 267 an. Im Bad sind es 326.

Im Schlafzimmer dröhnt der Luftreiniger auf höchster Stufe. Und trotzdem fällt der Wert nicht unter die 200er-Marke. Dann öffne ich einen Spalt das Fenster: 608. Die Anzeige auf dem Ei blinkt rot: „Hazarodous“ – gefährlich.

Bei diesen Werten handelt es sich um die Mengenangabe von winzigen Partikeln pro Kubikmeter Luft, die einen Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer haben, die überall herumschwirren, die über die Atemwege in die Blutbahn geraten und Krebs auslösen können. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält einen Wert von unter 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für unbedenklich. Wir in Peking atmen in diesen Tagen fast das 25-fache davon ein.

Und es ist keineswegs nur die chinesische Hauptstadt, die von dieser hochgiftigen Decke betroffen ist. Auch in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi werden gerade ähnlich hohe Feinstaubwerte gemessen. In China bedeckt der dichte Smog derzeit eine Fläche im Norden des Landes, die größer ist als Frankreich und Deutschland zusammen und mehr Einwohner zählt als ganz Europa.

Wer es sich leisten kann, hat teure Luftreiniger bei sich zu Hause stehen. Wer trotzdem ins Freie muss, trägt eine Atemmaske. Und trotzdem schmerzt der Hals, die Augen tränen und der Kopf dröhnt. An die gesundheitlichen Langzeitfolgen mag an solchen Tagen kaum einer denken. Das verstärkt die Kopfschmerzen nur.

Es geht so nicht weiter

Umso mehr schauen in diesen Tagen auch die Chinesen auf den Klimagipfel in Paris. Seit Wochen sind die Zeitungen und die Fernsehsender voll von Berichten über die Auswirkungen des Klimawandels. Anders als vor sechs Jahren in Kopenhagen will Chinas Führung nicht als große Bremserin bei den Klimaverhandlungen dastehen, sondern als Hoffnungsträgerin. China, der inzwischen weltgrößte Emittent von klimaschädlichem CO2, hat eingesehen, dass es so nicht mehr weitergeht.

Denn diese gewaltigen Mengen an Kohle, die China jährlich verbrennt, tragen nicht nur zur Luftverschmutzung bei, sondern zur Erderwärmung insgesamt – längst auch mit unmittelbaren Folgen für China selbst. Im Norden und Westen des Landes fressen sich die Geröllwüsten immer tiefer ins einst fruchtbare Kernland hinein. Im Süden des Landes kommt es im Sommer regelmäßig zu verheerenden Wirbelstürmen und Überschwemmungen. Auf dem Klima-Risiko-Index der Umweltorganisation Germanwatch belegt die Volksrepublik einen Platz ganz vorne.

China investiert in Grüne Energien

Diese Katastrophen haben das Land aufgerüttelt. Tatsächlich investiert derzeit kein Land mehr in grüne Energien als China. Hatten die Chinesen viele Jahre lang Solarzellen vor allem für den Rest der Welt hergestellt, verkaufen die chinesischen Firmen das meiste im eigenen Land. Im vergangenen Jahr hat China so viele Solar- und Windkraftanlagen errichtet wie der Rest der Welt zusammen.

Entwickelt sich ausgerechnet der größte Klimasünder zum Vorreiter beim Klimaschutz? In Zahlen schon. Gefühlt aber nicht. Trotz aller Anstrengungen gehen selbst die größten Optimisten davon aus, dass es dem bevölkerungsreichsten Land der Welt allenfalls gelingen wird, den Kohleverbrauch um etwa 3 Prozent im Jahr zu senken.

Bei Smogwerten von über 600 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft, wie sie mein Mess-Ei in diesen Tagen misst, heißt das: Klare und smogfreie Wintertage werden in Peking auch in den nächsten Jahren rar bleiben.

2 Dec 2015

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Felix Lee

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