taz.de -- Reaktorneubau in England: China investiert in heikles AKW-Projekt
China steigt beim britischen AKW-Neubau Hinkley Point C ein. Experten kritisieren, dass das Erdbebenrisiko bei der Sicherheitsanalyse ignoriert wurde.
Berlin taz | Der britische Premierminister David Cameron spricht von einem „historischen Deal“: Im Rahmen des Staatsbesuchs von Chinas Präsidenten Xi Jiping in London hat der chinesische Staatskonzern China General Nuclear Corporation (CGN) am Mittwoch angekündigt, mit 33,5 Prozent beim geplanten britischen Atomkraftwerk Hinkley Point C einzusteigen. Dieses werde „verlässliche, bezahlbare Energie für fast sechs Millionen Haushalte“ liefern, sagte Cameron.
In Hinkley Point im Südosten Englands sollen bis 2025 zwei neue Reaktoren entehen; es ist der erste britische Neubau seit über 20 Jahren. Die Betreiber schätzen die Kosten in heutigen Preisen auf 25 Milliarden Euro, die EU geht von 33 Milliarden Euro aus.
Das Engagement der Chinesen fällt damit allerdings geringer aus, als von den Briten zuvor erhofft: Ursprünglich war ein 40-prozentiger Anteil im Gespräch. Nachdem der Kraftwerksbauer Areva seine Beteiligung aus finanziellen Gründen aufgeben musste und andere potenzielle Investoren aus der Golfregion das Interesse verloren, sind die chinesischen Staatskonzerne die einzigen Investoren neben dem französischen Staatskonzern EDF, der das neue AKW betreiben soll. Ein verbindlicher Vertrag soll in den nächsten Wochen unterzeichnet werden.
Kritiker des geplanten AKWs sehen das geringere Interesse als Erfolg. „Die Investoren wissen, dass Hinkley Point C für sie zum milliardenschweren Risiko werden kann“, sagt Sönke Tangermann vom Stromanbieter Greenpeace Energy, der – wie die Regierung Österreichs – vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen klagt, dass die EU die massiven Subventionen Großbritanniens für das neue AKW genehmigt hat. Die Betreiber bekommen neben Kreditgarantien in Milliardenhöhe einen garantierten Strompreis, der doppelt so hoch wie der Marktpreis liegt – und weit höher als bei erneuerbaren Energien.
Zusätzlich steigen könnte das Risiko der Investoren durch ein neues Gutachten zur Sicherheit des neuen AKWs. Die sogenannte probabilistische Sicherheitsanalyse sei „nachweislich unvollständig“, schreiben die Atomexperten Steven Sholly und der frühere deutsche Atomaufseher Wolfgang Renneberg in einem neuen Gutachten. Das Risiko eines Erdbebens werde bei der Sicherheitsschätzung komplett ausgeblendet. Daher sei die Analyse der Betreiber „irreführend“, sagt Renneberg. Es sei zu vermuten, dass die Sicherheitsabschätzung deutlich schlechter ausfiele, wenn man das Erdbebenrisiko einbeziehen würde.
Nach Ansicht der Grünen im Deutschen Bundestag belegt das neue Gutachten die Notwendigkeit, dass sich auch die deutsche Regierung gegen den AKW-Neubau in Hinkley Point einsetzt. „Es wird Zeit, dass die Bundesregierung sich an Österreich ein Beispiel nimmt und Großbritannien die Rechtsverstöße nicht mehr durchgehen lässt“, sagt die atompolitische Sprecherin Sylvia Kotting-Uhl.
21 Oct 2015
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