taz.de -- Langweilig, zeitraubend, anstrengend: Verlernen wir das Lesen?
Jeder kauft Bücher. Aber lesen wir sie auch? Oder sind Serien viel besser? Und was haben Smartphones und Tablets damit zu tun?
Ein Buch. Also gedruckte Buchstaben auf raschelndem Papier, hunderte Seiten Text und zu Beginn eine Widmung. Doch Bücher sind mehr als das. Einige von ihnen sind Kunstwerke, unentdeckte Welten, in die man versinkt und nur auftaucht, wenn man leise umblättert.
Auf jedem Nachtkästchen liegt ein Buch oder gleich ein ganzer Stapel. Lesen gehört zur guten Erziehung, so wie das Essen mit Messer und Gabel. Unter jedem Christbaum liegt ein Buch, um Kinder zum Lesen zu bringen. Doch wird wirklich noch gelesen? Oder werden Bücher nur gekauft, um sie dann im Regal verstauben zu lassen?
Das Lesen hat sich verändert und ins Digitale verlagert. Trotzdem scheint es der Buchbranche nicht schlecht zu gehen. 2014 wurden 9,3 Milliarden Euro mit Büchern umgesetzt. Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse werden vom 14. bis 18. Oktober 270.000 Besucher und über 9.300 Journalisten und Blogger erwartet. Das Interesse am Buch ist da. Wo liegt also das Problem?
Das Problem liegt in der Fragestellung. In Frankfurt kreist alles um die Frage: Was wird gelesen und was nicht? Doch wird auch gefragt, ob überhaupt noch gelesen wird?
Der klassische Roman, auf Papierseiten gedruckt, passt nicht mehr in unsere Zeit. Bücher sind unpraktisch, unhandlich und nutzen sich ab. Sie sind zu lang, zu uninteressant und viel zu dick. Vielen fehlt zum Roman lesen die Zeit. Anderen eher die Muße.
Alltagsflut der Buchstaben
Lesen an sich ist jedoch unumgänglich. Gebrauchsanweisungen, Straßenschilder, Werbetexte und News-Ticker. Täglich werden wir in unserem Alltag mit einer Flut an Buchstaben überrollt, die wir teils unbewusst, teils bewusst lesen. Und doch, wir lesen sie. Sogar unsere private Kommunikation hat sich durch Facebook und WhatsApp vom Telefonieren auf das Schreiben und Lesen verlagert. Schrift ist das dominierendes Medium unserer Kommunikation. Nur das Trägermedium hat sich gewandelt, vom analogen Papier zum Digitalen.
Die taz.am wochenende hat mit Henning Lobin gesprochen, Professor für angewandte Sprachwissenschaft und Computerliguistik an der Justus-Liebing-Universität Gießen. Eine Welt ohne Lesen kann es nicht geben, da ist er sicher. Jedoch habe sich das Leseverhalten in den letzten Jahren stark verändert habe. Wir würden schnell, sprunghaft und interessensgeleitet lesen, wie es im Internet üblich sei. Das genussvolle Lesen hätten viele verlernt. Er sagt, dass die falsche Lesetechnik am falschen Text häufig zur Demotivation führe.
Felix Dachsel, Autor der taz.am wochenende, hat keine Lust mehr, Bücher zu lesen. In einer persönlichen Geschichte erzählt er, warum er das Lesen verlernt hat. Seine These: Die Serie bedient seine Bedürfnisse viel besser, als der Roman. Sie erzähle authentische Geschichten, von denen der Zuschauer nie genug haben könne. Eine Serie sei interessanter, spende Trost und sei einfach entspannender zu rezipieren. Lesen ist für ihn dagegen eine Qual. Langweilig, anstrengend und zeitraubend.
Kann das Medium Buch mit Fernsehen, Facebook und Netflix mithalten? Sind die Alternativen zum Roman nicht viel attraktiver?
Was glauben Sie? Haben wir das Lesen wirklich verlernt?
Diskutieren Sie mit!
Die Geschichte „Jeder Satz ein Schmerz“ und das Interview mit dem Computerlinguisten Henning Lobin lesen sie in der [1][taz.am wochenende vom 10./11. Oktober 2015].
9 Oct 2015
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