taz.de -- Nach dem Facebook-Urteil des EuGH: Sicher nicht sicher
Die USA sind kein „sicherer Hafen“ mehr. Und jetzt ist wieder alles tutti für die Nutzer? Da muss die NSA aber kichern.
Gestern war ein Kommentatorenfest: Eat this, USA – in Europa kann man sich sehr wohl wehren, gegen die Datenpanscher aus den USA, Facebook, NSA, überhaupt. Ein Urteil mit Strahlkraft, Datenschutz als starkes Grundrecht in Europa, richtig, wichtig und so weiter.
Einmal mehr zeigt der EuGH, dass EU-Bürger nicht hilflos den Datenmachenschaften von US-Konzernen ausgeliefert sind. Europäische Datenschützer in ihren kleinen Büros sind endlich mal wieder wer. Und natürlich: Endlich bleibt es mal nicht beim Schlimm-schlimm-Genöle über NSA und Großkonzernübermacht, endlich gibt es auch mal Konsequenzen.
Freudentaumel über so viel Rechtsstaatlichkeit und Emanzipation.
Vieles davon richtig.
Nur darf man dieses Urteil nicht mit einer Lösung des Kernproblems verwechseln: der anlasslosen Massenüberwachung durch die NSA. Denn: selbst wenn Nutzerdaten künftig innerhalb von Europa gespeichert und verarbeitet würden – und das ist nach dem Urteil noch längst nicht ausgemachte Sache –, ist das Geheimdienst-Netz so eng gespannt, dass die NSA auch weiterhin kaum Probleme hat, an die Daten europäischer Nutzer zu kommen.
Dank der Snowden-Enthüllungen, Recherchen und dem NSA-Untersuchungsausschuss ist klar, dass die NSA mit freundlicher Unterstützung des BND auch auf deutschem Boden mithört – am Internetknotenpunkt Frankfurter DE-CIX, einem der wichtigsten der Welt.
Wo selbstverständlich im Internetverkehr aus anderen EU-Ländern mit herausgefischt wird. Und wahrscheinlich, weil entsprechende Filter durchlässig waren, auch Traffic aus Deutschland. Hinzu kommt die Kooperation zwischen Bundesverfassungsschutz und NSA, die Recherchen von Zeit Online zufolge Zugriff auf die US-Analysesoftware xKeyscore gegen „den maximal möglichen Anteil aller Daten, die für die Mission der NSA relevant sind“, tauschten. Also Daten aus genehmigten Abhörmaßnahmen gegen deutsche Staatsbürger.
Ganz zu schweigen vom GCHQ, der mit seinen direkten Zugriffen auf Unterseekabel und anderen Maßnahmen ebenfalls jeden Tag Milliarden Daten abgreift – selbstverständlich auch solche aus Europa. Und als Teil der „Five Eyes“-Geheimdienstkooperation in engem Austausch mit der NSA steht.
Was bedeutet: auch in Europa sind die Daten nicht sicher vor der NSA.
Weswegen das Urteil des EuGH nicht mehr sein kann als ein Anfang. Zumindest dann, wenn es einem tatsächlich um die Achtung des Privatlebens geht. Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit die Snowden-Enthüllungen begannen. Mehr als zwei Jahre, in denen es der Politik nicht gelungen ist, den geheimdienstlichen Überwachungsirrwitz zurückzustutzen – weder in Deutschland noch in anderen Ländern Europas.
Zögerlicher BND
Der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages fördert zwar immer neue peinliche Details zutage – und befeuert so Debatten über das G10-Gesetz, das dem BND die Aufhebung des Telekommunikationsgeheimnisses deutscher Bürger eigentlich nur unter strengen Auflagen einräumt.
Aber ganz ehrlich: entschlossene Maßnahmen, die deutlich machen, wie ernst und wichtig man die gesamte Angelegenheit nimmt, sehen anders aus. Selbst US-Geheimdienste zeigten sich laut internem Vermerk des BND erstaunt über die „zögerlichen Reaktionen“ der Deutschen, nachdem der NSA-Lauschangriff auf Merkels Handy bekannt wurde.
Darum: Schultern sind jetzt genug geklopft. Und jetzt: Schaum vom Mund wischen und weitermachen.
7 Oct 2015
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