taz.de -- Kommentar Studie zur Deutschen Einheit: Durchsanierte Geisterstädte
Viel Geld wurde in den Osten gepumpt: Es gibt sogar blühende Landschaften. Aber auch viele uniformierte und öde Innenstädte.
Wittenberge ist ein schönes Beispiel. Diese Stadt in der brandenburgischen Prignitz hat alles, was sich ein Ort im Osten 25 Jahre nach der Wende nur wünschen kann: glatte Straßen, hübsch sanierte Häuser, ein Kino mit vier Sälen, argentinische und orientalische Restaurants, einen Bahnhof. Und doch ist Wittenberge nicht mehr als eine stadtgewordene Depression. Warum?
Wittenberge wirkt wie ausgestorben. Wer hier (noch) lebt, tut das, weil er nicht rechtzeitig weggekommen ist – so wie das viele junge Leute getan haben. Oder nicht wegkommen kann, weil er hier irgendwann einmal ein Haus gebaut hat oder zu alt ist. Manchmal trifft man auf der Straße wacklige Männer mit Bierflaschen in der Hand.
Natürlich gibt es Wittenberger, die die Stadt an der Elbe als ihre Heimat bezeichnen. Das ist auch gut so. Aber das ändert nichts an dem Umstand der Schieflage zwischen Ost und West, die auch ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall existiert.
Auch wenn der gerade veröffentlichte Bericht zur deutschen Einheit die angeglichenen Lebensverhältnisse in Ost und West bejubelt. Eine Mehrheit im Osten empfindet sich gut angekommen im vereinten Deutschland. Und etwas mehr als die Hälfte der Westdeutschen erlebt die Wiedervereinigung mittlerweile als positiv.
Es wurde viel Geld in den Osten gepumpt, mancherorts gibt es tatsächlich blühende Landschaften. Zu welchem Preis? Zahlreiche Innenstädte wurden uniformiert. Ob Leipzig oder Hannover, was macht das schon für einen Unterschied? Sieht eh alles gleich aus. Und Wittenberge? Eine schick gemachte Geisterstadt.
Bei all den notwendigen Aufbauarbeiten im Osten wurden häufig die Menschen vergessen. Wittenberge war mal ein kleiner Industriestandort, mit dem sich seine Bewohnerinnen und Bewohner identifiziert haben. Davon ist nichts mehr übrig, Stattdessen versucht die Stadt, attraktiv zu werden für Rentnerinnen und Rentner. Aber das will nicht so recht klappen.
23 Sep 2015
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