taz.de -- Kommentar Flüchtlinge am Eurotunnel: Eine völlig perverse Politik
In Europa wird viel von Menschenwürde gesprochen und Asyl nur unter Lebensgefahr gewährt. Für diese Politik ist Calais das traurige Symbol.
Großbritannien und Frankreich investieren ein paar zusätzliche Millionen in die verstärkte Sicherung der Zugänge zum Eurotunnel unter dem Ärmelkanal. Auf beiden Seiten weiß man, dass auch das die Migranten keineswegs vom Versuch einer illegalen Überquerung abhalten wird. Und wie seit Jahren werden es einige früher oder später auch nach Großbritannien schaffen.
Nur: Das Risiko steigt fast proportional zur Höhe der Zäune und Mauern, die die Anlegestellen für die Fähren sowie die Tunneleinfahrt umgeben.
Die Migranten sind, und das ist noch vorsichtig ausgedrückt, nicht willkommen. Großbritannien verlangt von Frankreich, alles zu tun, um den Flüchtlingsstrom zu stoppen. Umgekehrt wäre es Frankreich recht, wenn die Briten mehr unternähmen, um für die Menschen aus den Krisengebieten und Elendsvierteln der Welt weniger attraktiv zu sein. Zudem setzen fremdenfeindliche Populisten auf beiden Seiten die Behörden politisch unter Druck.
Der Zynismus an beiden Ufern des Ärmelkanals erreicht nun einen neuen Höhepunkt. Offiziell machen französische Polizisten Jagd auf die Flüchtlinge, die versuchen, den Ärmelkanal als blinde Passagiere zu überqueren. Den Behörden bleibt nichts anderes übrig, als ein Flüchtlingslager mit rund 3.000 Menschen in der Nähe der Stadt Calais und nur ein paar hundert Meter vom Eurotunnel entfernt zu dulden. Die Briten protestieren zwar gegen den zunehmenden Ansturm von Flüchtlingen, doch ihre Wirtschaft profitiert schamlos von den billigen Schwarzarbeitern und der Selektion am Kanal: denn nur den Besten und Stärksten gelingt die illegale Einreise.
Das Nadelöhr von Calais wird damit zum Symbol einer völlig perversen Flüchtlingspolitik in Europa, wo viel von Menschenwürde gesprochen wird, während die Betroffenen ihr Leben riskieren – für ein Asylrecht, das alle europäischen Länder eigentlich gesetzlich garantieren.
29 Jul 2015
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Polizei räumt eine Mittelschule in Paris, die Flüchtlinge besetzt hatten. Für die 1.300 Personen soll es angeblich Ersatzunterkünfte geben.
Die konservative Regierung in London hetzt gegen Menschen auf der Flucht. Diese bedrohten den Lebensstandard.
Großbritannien und Frankreich erhalten von der EU 266 Millionen Euro bis zum Jahr 2020, um die Lage am Ärmelkanal unter Kontrolle zu bringen.
Die EU-Kommission gibt Frankreich und Großbritannien finanzielle Unterstützung und Verfahrenshilfe durch Frontex: insgesamt fast 50 Millionen Euro.
Britischen Vermietern sollen Strafen drohen, wenn sie illegal eingereisten Menschen Wohnungen vermieten. Die Regierung setzt auf Abschreckung.
Großbritanniens Premier Cameron macht Stimmung gegen Flüchtlinge. Nun will seine Regierung sogar die Armee am Eurotunnel einsetzen.
Die französische Polizei hindert erneut Hunderte am Betreten des Tunnels. In Großbritannien tritt das Sicherheitskabinett wegen der Lage in Calais zusammen.
Der Grüne Winfried Kretschmann würde wohl weiteren sicheren Herkunftsländern zustimmen. Doch seine Partei sieht das ganz anders.
Der Ansturm auf den Eurotunnel von Calais nach Dover fordert immer wieder Todesopfer. Zumeist bleiben sie namenlos. Kein Ende des Elends in Sicht.
In Calais und im Norden von Paris lösten die Behörden Camps auf. Sie wollen wilde Ansammlungen von Migranten auf Dauer unterbinden.
Ein Video, das Polizeigewalt gegen Flüchtlinge in Calais zeigt, ist aufgetaucht. Hilfsorganisationen sind schockiert, die Polizeigewerkschaft verteidigt die Beamten.
Die Lage der Flüchtlinge in der Stadt am Kanal wird immer dramatischer, Zusammenstöße mit der Polizei nehmen zu. Das ruft Rechtsradikale auf den Plan.
In der französischen Küstenstadt Calais hat die Polizei ein Flüchtlingslager aus hygienischen Gründen geräumt. Die Menschen versuchen, von dort nach England zu gelangen.