taz.de -- Kolumne German Angst: Die Lust an der Grausamkeit
Das von Merkel gestreichelte Flüchtlingsmädchen darf bleiben – weil es uns nützt. Empathie ist der Deutschen Sache nicht.
Wie schön. Die junge Palästinenserin, die sich von Angela Merkel hatte streicheln lassen müssen, darf wohl in Deutschland bleiben. Vielleicht kann sie vom reformierten Ausländerrecht profitieren, das gut integrierten AusländerInnen die Duldung ermöglicht.
Was eigentlich heißt: Deutschland wird von ihr profitieren. Die 14-Jährige nämlich ist ein „sympathisches“ (Merkel) „Flüchtlingsmädchen“ und kein „Kopftuchmädchen“ (Sarrazin).
Für die Masse bedeutet das neue Gesetz indes schnellere Abschiebung und Abschiebeknast. Willkommen ist hier nämlich nur, wer ordentlich ausgenutzt werden kann. Dann spart man sich hier die teure Ausbildung.
De Maizière ist das noch nicht genug, die Zahl der Asylsuchenden müsse „drastisch reduziert“ werden, sagte er. Und Seehofer? Will Bayern ganz dichtmachen. Wie angenehm, dass Orbán die Drecksarbeit erledigt und eine gigantische Mauer hochzieht, an der bald Zehntausende hängenbleiben, die nicht im Mittelmeer ersoffen sind.
Das passt wunderbar zu Merkels „Das Boot ist voll“-Rhetorik: Bleibt nämlich die Palästinenserin, kämen die Flüchtlinge aus dem Libanon, aus ganz Afrika. Und das wäre sehr schlimm, man käme nicht mehr nach mit dem Abfackeln der Unterkünfte.
„Germany’s Anger“
Jedenfalls konnte in diesem konkreten Fall wohl tatsächlich kaum jemand die menschenverachtende Asylpolitik nachvollziehen. Ausnahmsweise. Und so war das Streicheln auch eine Art Ablasshandel, ein pervertiertes Schuldeingeständnis.
Und Schuld ist hier ja ein Dauerbrenner. Die Deutschen selbst? Schuld sind immer die anderen. Das hat Tradition. Aktuell sind wir nicht an der griechischen Misere schuld, sondern als verhinderte Retter aktiv. Die standhaften, ehrlichen Deutschen versuchen den faulen, frechen Griechen mit ihren Erfahrungen zu helfen – Sie wissen schon, Wirtschaftswunder dank Schuldenschnitt! Auf keinem anderen Feld als der Ökonomie kann man so schamlos Ressentiments bestimmen lassen. Und trotzdem als kühler Stratege gelten.
Schulden sind eben nicht nur ein ökonomisches Phänomen, sondern Schlüssel der sozialen Beziehungen. Schon die Doppeldeutigkeit von Schuld und Schulden zeigt den moralischen Kern der Schäuble’schen Logik: Sie sind Schuldner, also sind sie schuldig.
International stieß die Wut der Austeritäts-Fundamentalisten eher auf Irritation. „Germany’s Anger“ nannte die New York Times jene zerstörerische Leidenschaft, getrieben vom Wunsch nach dem Grexit, der Vernichtung jeder symbolischen Opposition. German Anger eben.
Wie bei der Flüchtlingsabwehr bleibt am Ende nur die Lust an der Grausamkeit. Denn Schulden sind eine Form von Gewalt, die Enteignung von politischer Macht, von Teilhabe am Reichtum. Von der Zukunft. Die Schuldner bleiben nur insoweit „frei“, wie sie ihre Schulden bedienen sollen. Ein Machtverhältnis frei nach Foucault.
„Debt forgiveness“ jedenfalls, wie es im Englischen heißt, ist da undenkbar. Vergeben nämlich, was Empathie voraussetzt, ist der Deutschen Sache nicht. Das in die Armut gestürzte Griechenland ist der Beweis.
21 Jul 2015
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