taz.de -- Flüchtlingsmisshandlung in Hannover: „Ein Tiefschlag für den Rechtsstaat“

Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz bezeichnet die mutmaßlichen Taten als „erschütternd“. Aufklärung fordern Vertreter verschiedener Polizei-Organisationen.
Bild: Die Wache der Bundespolizeiinspektion in Hannover

BERLIN afp | Die mutmaßlichen Misshandlungen von Flüchtlingen in einer Bundespolizei-Wache in Hannover haben bei Politikern, Gewerkschaften und Flüchtlingsorganisationen Empörung ausgelöst. Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) nannte die Vorwürfe am Montag in Berlin „erschütternd“, die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sprach von einem „entsetzlichen Maß an Rassismus und Menschenfeindlichkeit“. Auch die Polizeigewerkschaften im DGB und im Beamtenbund forderten eine lückenlose Aufklärung.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Misshandlungsvorwürfen gegen einen Bundespolizisten ermittelt. Der Vorwurf lautet unter anderem auf Körperverletzung im Amt, wie Oberstaatsanwalt Thomas Klinge in Hannover der Nachrichtenagentur AFP sagte. Privatwohnung und Arbeitsplatz des Verdächtigen waren bereits am Freitag durchsucht worden.

Nach gemeinsamen Recherchen des NDR-Fernsehmagazins „Hallo Niedersachsen“ und des Radiosenders NDR Info soll es im vergangenen Jahr mehrfach Übergriffe auf Menschen in den Gewahrsamszellen der Bundespolizei in Hannover gegeben haben. In einem Fall soll ein Flüchtling aus Afghanistan gewürgt und mit angelegten Fußfesseln durch die Wache geschleift worden sein. In einem anderen Fall bestehe der Verdacht, dass ein Marokkaner in der Zelle gezielt erniedrigt wurde. Ihm sei unter anderem verdorbenes Schweinemett verabreicht worden.

Özoguz mahnte, wenn es zutreffe, „dass ein Beamter Flüchtlinge gequält, sich damit gebrüstet und die Misshandlungen sogar noch dokumentiert hat, muss die Bundespolizei über den Einzelfall hinaus Konsequenzen ziehen“. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bezeichnete die Vorwürfe in Berlin als „gravierend“. Das Ministerium habe „großes Interesse“ an einer schnellen Aufklärung.

Die Grünen-Polizeiexpertin Irene Mihalic forderte in der Rheinischen Post (Dienstagsausgabe), dass die Bundespolizei rückhaltlos Rechenschaft über die Vorgänge in ihrer Wache in Hannover ablegt. „Sollten sich die Vorwürfe über rassistisch motivierte Misshandlungen im Polizeigewahrsam bestätigen, wäre das ein echter Tiefschlag für den demokratischen Rechtsstaat.“

GdP-Chef fordert rückhaltlose Aufklärung

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Deutschen Gewerkschaftsbund, Oliver Malchow, mahnte eine rückhaltlose Aufklärung an. „Sollten sich die Vorwürfe am Ende des Ermittlungsverfahrens als zutreffend erweisen, so hat dieser Beamte in unserer auf rechtsstaatlichen Prinzipien fußenden Polizei nichts mehr zu suchen.“ Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) im Beamtenbund, Rainer Wendt, betonte, die Polizei habe „ein hohes Eigeninteresse“ an Aufklärung. Seine Gewerkschaft habe „großes Vertrauen in die Ermittlungen sowie in den rechtsstaatlichen Ablauf“.

Auch der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, forderte eine konsequente Aufklärung. Schulz plädierte zugleich für „strukturelle Änderungen“ und brachte einen „unabhängigen Polizeibeauftragten“ ins Gespräch, „analog zum Wehrbeauftragten der Bundeswehr“. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt forderte eine Ausweitung der Ermittlungen auf mögliche Mitwisser. „Der ganze Sumpf muss offen gelegt werden.“

18 May 2015

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
Flüchtlinge
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Hannover
Hassverbrechen
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht
Folter
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Hannover
Polizei
NRW
Hannover

ARTIKEL ZUM THEMA

Bundespolizei in Hannover: Täter geschützt, Opfer entwürdigt

Er habe einen Flüchtling gequält, prahlte ein Polizist. Anklage wegen Körperverletzung im Amt will die Staatsanwaltschaft nicht erheben.

Eskalation nach Streit im Asylheim: Polizei schießt auf Flüchtling

Nach einem Streit in einem Flüchtlingsheim in Bonn hat die Polizei auf einen mit einem Messer bewaffneten Mann geschossen. Er wurde schwer verletzt.

Forderung von Berufsverband: Polizeibeauftragte gegen Folter

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) will Polizeibeauftragte einsetzen. Damit reagiert der Verband auf Foltervorwürfe gegen Bundespolizisten.

Gewalt im Flüchtlingsheim: Wachleute sollen Bewohner geschlagen haben

Bewohner einer Neuköllner Unterkunft erheben schwere Vorwürfe gegen Sicherheitsdienst. Wieder einmal geht es um das Heim der Pewobe in Neukölln.

Demütigung von Flüchtlingen: Polizist soll Kollegen bedroht haben

Der des Missbrauchs beschuldigte Bundespolizist bleibt vorerst auf freiem Fuß. Ihm könnten Jahre in Haft drohen. Die betroffenen Flüchtlinge sind nicht auffindbar.

Flüchtlingsmissbrauch in Hannover: Mal wieder ein Einzelfall

Der Bundespolizeipräsident verspricht ein konsequentes Vorgehen. Er will den Ruf seiner Behörde aber nicht durch „Wenige“ beschädigt sehen.

Flüchtlingsmissbrauch in Hannover: Achtung Kontrolle!

Die Vorwürfe von Hannover wiegen schwer. Könnte ein unabhängiger Polizeibeauftragter helfen? In Rheinland-Pfalz wird dies seit 2014 erprobt.

Flüchtlingsmisshandlungen in Burbach: Inzwischen sind es 50 Beschuldigte

Nach den Übergriffen in einer Notunterkunft ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen immer mehr Menschen – darunter sind auch zwei Bedienstete der Bezirksregierung.

Polizeigewalt gegen Flüchtlinge: Misshandlungsvorwurf aus Hannover

Einem Bundespolizisten wird vorgeworfen, Flüchtlinge schwer misshandelt zu haben. Er soll sich via WhatsApp seiner Taten gerühmt haben.