taz.de -- Deepwater Horizon: Tiefer und tiefer
Vor einem Jahr explodierte die Ölplattform im Golf von Mexiko. Die Umweltschäden bestimmen bis heute den Alltag. Und die Ölkonzerne bohren wieder.
WASHINGTON taz | "BP ist nicht perfekt", sagen Fischer und Unternehmer von der Golfküste der USA in Werbespots, "aber dies hier machen sie richtig. Unsere Küsten sind wieder sauber. Unsere Garnelen sind wieder die besten." Dazu läuft sanfte Musik. Die Bilder zeigen grünes Marschland. Fischerboote auf hoher See. Netze voller Fische. Lachende Menschen. Und Seevögel. Der Übeltäter des vergangenen Jahres gibt sich jetzt als Wohltäter, der die Golfküste restauriert.
Das ist die heile Welt der Werbespots, mit denen der Mineralölkonzern seit einem Jahr die Werbeetats der Fernsehsender quer durch die USA füllt.
Die größte Ölpest der Geschichte begann vor einem Jahr mit der Explosion der von BP gemieteten Ölplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Elf Arbeiter starben auf der Plattform. Dann strömten über Monate 800 Millionen Liter Rohöl in den Ozean. Sie verölten Pflanzen, Tiere und weite Teile des Feuchtgebietes im Mündungsdelta des Mississippi. Die besten IngenieurInnen einer der höchstentwickelten Branchen versuchten im Trial-and-Error-Verfahren, eine vorhersehbare Katastrophe unter Kontrolle zu bekommen. Erst im September - fünf Monate nach der Explosion - gelang es, das Bohrloch am Meeresgrund gänzlich zu stopfen.
An den Küsten sind heute zahlreiche Strände wieder geöffnet. Vielerorts ist die Fischerei erneut zugelassen. Die Krabben und Garnelen haben sich schnell erholt. Die Austern aber, so befürchten Züchter in Louisiana, werden bis zu zehn Jahren brauchen, um wieder auf den Stand von vor der Katastrophe zu kommen. Und im Januar strandeten die Kadaver von 153 toten Delphinen, davon die Hälfte Neugeborene, an der Golfküste.
Die großen Öllachen im Meer sind verschwunden. Ein Viertel des Öls, so die nationale Ozean-Behörde NOAA, ist verdunstet. 20 Prozent des Öls sind entweder abgepumpt oder an der Wasseroberfläche abgefackelt worden.
Tote Lebewesen stapeln sich am Meeresgrund
Aber wer einen Stock in den Sand steckt, stößt weiterhin auf Öl. Samantha Joye von der Universität Georgia, die die Katastrophenfolgen im Golf von Mexiko studiert, berichtet von toten Lebewesen - Würmern, Seesternen, gebleichten Korallen -, die sich am Meeresboden stapeln. An das Rohrgras von weniger zugänglichen Ufern schwappt gelegentlich ein öliger Film. Niemand weiß, ob er aus dem Macondo-Bohrloch selbst stammt oder von dem Corexit.
Fast sieben Millionen Liter der Chemikalie mit wenig bekannten Langzeitwirkungen sind 2010 in den Golf gepumpt worden. Sie sollten das Öl binden und seine Entsorgung durch Bakterien erleichtern. Doch zugleich "steigt die Toxizität von Corexit, wenn es mit Öl vermischt wird", sagt Wenonah Hauter von der Verbraucherschutzgruppe "Food & Water Watch": "Das ist gefährlich für Pflanzen, Tiere und Menschen."
Auch Satellitenaufnahmen zeigen ein anderes Bild von der Golfküste. Darauf fehlen 130 Quadratmeilen Marschland im Mississippidelta. Sie sind im vergangenen Sommer nicht wieder grün geworden und werden demnächst im Wasser versinken. In den Vorjahren waren alljährlich 24 Quadratmeilen Marschland verloren gegangen. Das schrumpfende Feuchtgebiet im Süden von Louisiana ist das Zuhause für Alligatoren, Seevögel und Fische. Zugleich ist es eine Barriere gegen den Einfall von Hurrikanen ins Hinterland. "Das Öl ist noch da: im Wasser, in den Algen, in den Fischen und am Meeresgrund", sagt der Meeresbiologe John Hocevar von Greenpeace, "es verschwindet nicht einfach spurlos."
Zigtausende verloren ihren Job
Im Alltag vieler Menschen ist die Katastrophe täglich zu spüren. Zigtausende haben ihre Arbeit verloren. Die Hilfsorganisation "Catholic Charities", die seit vergangenem Jahr zehntausende Golf-AnwohnerInnen mit Essen, Kleidung und Medizin versorgt, beklagt, dass ein großer Teil der Anträge auf Entschädigungen noch nicht einmal von der Gulf Coast Claims Facility (GCCF) bearbeitet, geschweige denn bewilligt worden sind. Nur 40 Prozent der Anträge sind bislang bewilligt worden. Der GCCF unter Leitung des von Präsident Obama benannten Ken Feinberg hat nur 3,8 Milliarden seines 20 Milliarden Dollar großen Entschädigungsfonds verteilt.
Der Justiz liegen gegenwärtig 400 Klagen gegen BP und andere Gesellschaften, die in "Deepwater Horizon" verwickelt waren, vor - darunter die Gesellschaften Transocean und Halliburton. Das US-Justizministerium prüft noch, ob es auch Anklagen wegen fahrlässiger Tötung erstattet.
Seit Februar vergibt das neu gegründete "Bureau of Ocean Energy Management" auch wieder Offshore-Bohrgenehmigungen. Zehn dieser Genehmigungen sind ausgestellt - unter anderem für Shell, Exxon und Chevron. Mehr als ein Dutzend weitere Anträge liegen in der Schublade - darunter auch von BP.
Die Sicherheitstechniken sind die alten geblieben
Die neuen Bohrstellen liegen noch weiter von der Küste entfernt und noch tiefer am Meeresboden. Aber die Sicherheitstechniken sind die alten geblieben. "Der Name der Behörde ist geändert", sagt William Reilly, einer der beiden Vorsitzenden der Ölpest-Kommission: "Aber die Mitarbeiter sind dieselben." Der amerikanische Präsident Barack Obama wollte zusätzliche 100 Millionen Dollar für die Kontrolle der Offshore-Bohrungen, der Kongress hat im Haushalt für dieses Jahr aber nur die Hälfte bewilligt. Anstatt die Ölbranche zu behindern, so das Credo der republikanischen Mehrheit im Kongress, sollte der Staat die Ausgabe von Bohrgenehmigungen beschleunigen.
Ursprünglich hatte die Ölindustrie gedroht, sie würde wegen des Moratoriums ihre Plattformen aus dem Golf von Mexiko abziehen und ihre Arbeiter entlassen. Inzwischen herrscht neue Aufbruchstimmung. Der auf Ölbohrungen spezialisierte US-Konzern Halliburton hat in dieser Woche ein Rekordergebnis aus dem ersten Quartal 2011 gemeldet. Und Transocean, bei dem die meisten der auf der "Deepwater Horizon" ums Leben gekommenen Arbeiter angestellt waren, hat seinen Spitzenmanagern Boni für das "beste Sicherheitsjahr" gezahlt.
Antonia Juhasz, die ein Buch über die Ölpest geschrieben hat, wertet das als ein Zeichen dafür, dass die Ölindustrie keine Lehren aus der Katastrophe gezogen hat und ihre Praxis nicht ändern wird. "Es kann jederzeit wieder passieren", sagt sie. Innenminister Ken Salazar drückt sich vorsichtiger aus. "Die Industrie ist heute sicherer als vor einem Jahr, aber wir haben noch viel zu erledigen."
20 Apr 2011
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