taz.de -- taz-Serie Hamstertouren mit dem Rad (3): "Schneller mit der Hand melken"

Berliner suchen Natur - Brandenburg lockt mit Landschaft und Leckereien. Die taz führt zu den besten Plätzen. Teil 3: Der Stutenmilchhof in Rohrlack
Bild: Siegfried Dörge und eine Milchproduzentin.

Obwohl das Ruppiner Land menschenarm ist, wirkt das kleine Dorf Rohrlack lebendig und gepflegt. Selbst das Kopfsteinpflaster zum Gestüt Lindenhof ist angenehm rund und holpert kaum. Siegfried Dörge öffnet die Stalltür, und vier Stuten mit ihren Fohlen traben auf die Weide. Dass er die letzten Nächte kaum geschlafen hat, sieht man ihm nicht an.

"Kommen Sie mal rein, da sind die Zwillinge, die sind gestern erst geboren. Zwillinge sind bei Pferden sehr selten und eigentlich nicht erwünscht, weil sie zu klein und schwach sind. Gestern Abend nach dem Fernsehfilm, so um halb elf, schaue ich noch mal in den Stall, und da ging es schon los. Ich habe reingefasst und gemerkt, dass da zwei Köpfe sind.

Die Fohlen lagen hintereinander, im Ultraschall haben wir deshalb nicht erkannt, dass es Zwillinge sind. Wäre ich nicht sofort da gewesen, wären beide tot. In diesem Jahr kommen alle auf einmal. Die letzten vier Nächte habe ich fast durchgemacht, ich komme gar nicht mehr zur Ruhe. Wir haben jetzt neun Fohlen und erwarten noch drei. So zwei bis drei Wochen nachdem die Fohlen gekommen sind, fange ich langsam an zu melken. Eine gute Stute produziert 20 Liter am Tag. Aber man kann nie mehr als einen Liter auf einmal melken. Mehr kann ein Stuteneuter nicht speichern. Eine Kuh ist ja auf Speichern gezüchtet. Aber bei einem Pferd will man so ein großes Euter nicht, das will man ja reiten.

Bevor ich melke, muss ich das Fohlen für ungefähr eine Stunde von der Stute trennen. Sonst ist keine Milch da. Das Fohlen trinkt ja permanent, so 30- bis 40-mal am Tag. Nur die Milch, die die Stute in der Zeit der Trennung produziert, die kann ich nehmen. Dazu habe ich einen Becher, den ich direkt unter die Zitze halte. Ein Pferd hat wie eine Kuh vier Euterteile. Aber nur zwei Zitzen. Aus jeder Zitze kommen zwei Strahlen, die gehen in verschiedene Richtungen. Deshalb kann ich nicht einfach einen Eimer zwischen meine Beine stellen, da würde alles danebengehen. Es gibt in Deutschland etwa 30 Stutenmilchbetriebe, aber ich bin der Einzige, der mit der Hand melkt. Das geht schneller, eine bis eineinhalb Minuten brauche ich pro Pferd.

Ich habe ja mal Melker gelernt in der DDR. Später war ich Abteilungsleiter für Milchproduktion in der LPG Wildberg im Nachbarort. Da war ich für 300 Kühe zuständig. Nach der Wende wollte ich aber noch mal einen Diplomabschluss machen. Man wusste ja nicht, wie es weitergeht. In Meißen gab es ein Aufbaustudium zum Diplom-Agraringenieur. Dort las ich eine Sonderausgabe der Zeitschrift TopAgrar zum Thema Nischenprodukte. Ziegen, Wachteleier und eben Stutenmilch. Das hat mich interessiert. Ich musste mir ja sowieso überlegen, was ich nach dem Studium mache. Meine Diplomarbeit habe ich dann über den Aufbau eines Stutenmilchbetriebes geschrieben. So gesehen ist dieser Hof hier meine Diplomarbeit.

Insgesamt habe ich 15 eigene Stuten. Wenn das Fohlen noch klein ist, melke ich nur einmal am Tag. Wenn es später mehr frisst, kann ich zwei- bis dreimal Milch nehmen. Im Mai ist die Milchleistung am höchsten. Am Vormittag bin ich eigentlich pausenlos mit Melken beschäftigt. Die Milch wird eingefroren. Die verschicke ich dann mit minus 30 Grad in Styroporbehältern. Dann ist sie noch gefroren, wenn sie beim Kunden ankommt.

Die meisten Menschen, die Stutenmilch kaufen, leiden unter Neurodermitis. Da habe ich Kunden aus ganz Deutschland. Es gibt auch Babys mit Kuhmilchallergie - von allen Milchen ist Stutenmilch der Muttermilch ja am ähnlichsten. Dann gibt es die Kosmetikschiene. Mein Sohn hat angefangen, unsere Milch von einem Berliner Pharmaunternehmen zu Cremes und Lotions verarbeiten zu lassen. Das verkaufen wir in unserem Hofladen oder über das Internet.

Auch Wellnesshotels verwenden Stutenmilch für ihre Kleopatrabäder. Einen Viertelliter ins Badewasser, und Sie haben danach ganz weiche Haut. Fassen Sie mal meine Hände an, weich und zart. Dabei arbeite ich hier im Stall viel mit der Forke. Das kommt nur vom Melken."

28 Apr 2011

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Schweizer

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Natur

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